Realität und Virtualität(1) der Berge*

Dies war ein Beitrag zur Entwicklung eines Weltmuseums der Berge in der Ramsau am Dachstein. Siehe dazu: Projektentwicklung.

Herbert Arlt

Zu neuen Aufgabenstellungen für Kulturwissenschaften im Berg-Tourismus


1. Die Zeit der Ängste
2. Naturwissenschaften und Bedeutungswandel
3. Multiperspektivik – Gemeinsamkeiten und Divergenzen
4. Industrialisierung und Virtualisierung
5. Das Projekt „Die Namen der Berge“
6. Realität und Virtualität

 

Allgemein wird in der wissenschaftlichen Literatur davon ausgegangen, daß der Berg-Tourismus im 18. Jahrhundert begann. Ende des 19. Jahrhunderts nahm er Massencharakter an. Gegen Ende des 20. Jahrhundert bekam er auch für Massen einen globalen Charakter. Auf absehbare Zeit unbestiegen bleiben heute noch die Berge anderer Planeten.

Zumindest in der Anfangszeit war die Entwicklung des Berg-Tourismus durch kulturelle Vorstellungen geprägt und wurde in der Folgezeit teilweise davon begleitet. Ihre Materialität, ihre Unwirtlichkeit, ihre Gefahren (bis hin zu Ungeheuern) wurden in den Darstellungen seit der Antike in Europa hervorgehoben und bestimmten auch die Alltagsvorstellungen. In der heutigen Phase, da die ganze Welt zu einer Karte geworden ist (2), der höchste Berg der Welt sogar von einem Blinden bestiegen werden kann (3), gewinnt Kultur in einer anderen Weise wieder zunehmend an Bedeutung für den Umgang vieler Menschen mit den Bergen – und auch die Kulturwissenschaft. Anzeichen dafür sind die nicht wenigen Ausstellungen (4) der letzten Jahre, die durchaus einen großen Zuspruch fanden und eine zunehmende Zahl von Symposien, Artikeln, Büchern, Filmen und anderem, die über die Berge (insbesondere die Alpen) abgehalten wurden bzw. erscheinen oder gezeigt wurden.(5) In diesem Kontext der „Virtualisierung der Berge“ soll über „zukunftsfähige Konzepte“ nachgedacht werden, indem nach der möglichen Rolle der Kulturwissenschaften in diesen Prozessen gefragt wird. Dabei geht es weniger um eine Wissenschaftsgeschichte als vielmehr um die (möglichen) Wechselwirkungen zwischen Kulturwissenschaften und dem Berg-Tourismus in allgemeinen gesellschaftlichen Verständigungsprozessen, in denen der Stellenwert der Berge in gesellschaftlichen Prozessen neu bestimmt wird – und zwar sowohl in lokalen als auch in weltweiten Zusammenhängen.

In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, zunächst einige ganz allgemeine Gedanken einzuführen. So formulierte John Desmond Bernal bereits im Jahre 1954 in der Einführung zu seinem bahnbrechenden Buch „Science in History“: „Unsere heutige Kultur wäre, was ihre materielle Seite betrifft, ohne Wissenschaft unmöglich.“ (Bernal 1970, S.33.) Diese These steht im Kontext seines komplexen Wissenschaftsverständnisses: „Erfahrung allein reicht jedoch nicht aus, und sie kann isoliert auch niemals wirksam werden. Bewußt oder unbewußt wird sie unvermeidlich stets von Theorien oder Anschauungen aus dem allgemeinen Bestand der menschlichen Kultur geleitet. Sofern es unbewußt geschieht, wird diese Abhängigkeit von der Tradition blind sein und nur zu einer Wiederholung von Lösungsversuchen führen, die unter den veränderten Bedingungen scheitern müssen. Sofern es jedoch bewußt geschieht, erfordert es eine tiefgehende Kenntnis der gesamten Beziehungen zwischen Wissenschaft und der Gesellschaft, deren erste Voraussetzung die Kenntnis der Geschichte der Wissenschaft und der Gesellschaft ist. In der Wissenschaft ist es mehr als in irgendeinem anderen menschlichen Tätigkeitsbereich notwendig, die Vergangenheit zu erforschen, um die Gegenwart zu begreifen und die Zukunft beherrschen zu können.“ (Bernal 1970, S.34.)

Für diesen Ansatz spielten Natur, Naturwissenschaften, Arbeit, Produktionsmittel usw. eine große Rolle. Trotz der großen Bedeutung, die der Kultur beigemessen wird, konnte gerade im kulturwissenschaftlichen (gesellschaftswissenschaftlichen) Bereichen von Bernal noch kein selbständiges Agieren festgestellt werden, das (zumindest in Europa) erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts beginnt, indem auch nicht-staatliche Aufträge in einem Ausmaß vergeben werden, die es einer zunehmenden Anzahl von neuen Forschungsinstitutionen ermöglicht, zu überleben.

Geht man vom komplexen Ansatz im Sinne von Bernal aus und berücksichtigt zudem die jüngsten Entwicklungen in Forschung und im Tourismus, dann wird es auch im Zusammenhang mit der Wechselwirkung von Kulturwissenschaften und Tourismus wichtig sein, nicht nur die Hard Facts (Investitionen, Schulden, Umsätze, Zinsen usw.) zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch auf (Kultur-)Geschichte, Anschauungen und Theorien einzugehen – und zwar gerade im Bereich des Forschungsfeldes Berge. In diesem Zusammenhang werden hier verschiedene Aspekte behandelt, um dann abschließend beispielhaft ein konkretes Projekt vorzustellen, das sich als zukunftsfähig versteht. Ein Projekt, das die hier vorgestellten Überlegungen bereits berücksichtigt und öffentlich entwickelt wird – das INST-Weltprojekt der Berge.

 

1. Die Zeit der Ängste

Der ursprüngliche Zugang der Menschen zu den Bergen erfolgte in Europa über lange Zeit über praktische Erfahrungen (Reisen vor allem zu Handelszwecken und zu Eroberungen, aber auch Kultivierungen, Bergbau) und über Vorstellungen (Religionen, Künste). Erst in späterer Zeit spielte die sich entwickelnde moderne Wissenschaft eine immer größere Rolle.(6) So ist in den Schriften von Galileo Galilei festzustellen, daß er den Mond am Anfang des 17. Jahrhunderts erst als einen Planeten wie die Erde anerkannte, nachdem er mit Hilfe eines Fernrohrs entdeckt hatte, daß es auch auf dem Mond Berge gäbe.(7) Die Naturwissenschaften waren es auch, die in Europa den allgemeinen Anstoß dazu gaben, sich von den Ängsten zu verabschieden, die Berge nicht als etwas Furchterregendes oder gar Böses anzusehen.(8) Statt sich nur Vorstellungen von den Bergen zu machen (wie zum Beispiel jene holländischen Maler, die das Sujet in der europäische Malerei wieder aufgriffen), wurden die Berge nun bestiegen, vermessen und auch auf diese Weise „entzaubert“. Dennoch aber verbleiben bis in die heutige Zeit Mythen und Klischees nicht nur als historisches (Ausstellungs-)Material erhalten, sondern sind Teil des Alltags geblieben. Das zeigen die Bücher von Hans Haid (9), aber in anderer Weise auch die sogenannte Fremdenverkehrs- oder Tourismus-Werbung in Österreich.(10) So werden zum Beispiel nach wie vor Klischees von der „unberührten Natur“ verwendet, die aus dem 18. Jahrhundert stammen und damals (11) wie heute jeglicher Grundlage entbehren.(12) Auch die Nationalsymbolik im Sinne des 19. Jahrhunderts (um noch ein anderes Beispiel von Virtualisierung zu nennen) spielt in einer Vielzahl von Ländern noch eine bedeutende Rolle.(13)

Doch nicht zuletzt Muren, Lawinen, Steinschlag und weitere Naturkatastrophen zeigen, daß der Mensch zwar in vielerlei Hinsicht die Berge „erobert“ haben mag, aber sie dennoch nur sehr bedingt „beherrscht“. Hier enden die Möglichkeiten der Virtualität ebenso wie in nicht wenigen Formen der persönlichen Begegnung mit dem Berg.(14)

 

2. Naturwissenschaften und Bedeutungswandel

Die „Entzauberung der Berge“ hat aber ihre Attraktivität nicht geschwächt, obwohl verschiedene Touristiker gerade den „Zauber“ auch heute noch gerne verkaufen wollen und „Drachen“ zumindest in Erzählungen wieder einführen.(15) Gerade heute, da die Welt von Satelliten auf das Genaueste erfaßt wird, die Fortbewegung mit Hilfe einer computergestützten Navigation erfolgen kann, die Welt der Steine, der Pflanzen, der Tiere, der Verdunstung und des Niederschlags auf das Genaueste gewogen, vermessen, analysiert und katalogisiert wurde sowie meteorologische Veränderungen teilweise vorhersagbar wurden, sind es umso mehr Menschen, die gerade durch die Kenntnis dieser kulturellen Informationen Wissen erlangen wollen. Sie setzen das Wissen für Abenteuer ein (Klettern, Segelfliegen, Drachenfliegen usw.). Sie genießen Speisen und Getränke, deren Produktion zum Teil auf Jahrtausendealten Kenntnissen beruhen, in Wirtshäusern und Hotels.(16) Sie nutzen das materialisierte Wissen zur Bewegung im Gelände – von den wasserfesten Wanderschuhen über Kletterschuhe mit besten Reibungseigenschaften bis hin zu neuen Notrufmöglichkeiten (zum Beispiel Handys) sowie Rettungsmitteln (zum Beispiel Hubschrauber). Völlig neue Möglichkeiten eröffnen aber auch die Baustoffe (17). Und selbst die Möglichkeiten der Abbildungen (Virtualisierung durch Fotos, Film, Digitalisierung) wurden durch neue Technologien revolutioniert.(18)

Gerade in dieser Phase aber, da das Verhältnis von Menschenmassen zu den Bergen zutiefst von Wissenschaft im Alltag geprägt wird (19), beginnen nun Kunst und Kultur in neuer Form eine Rolle zu spielen. Das drückt sich auch in einer Reihe von Projekten aus, die kulturellen Charakter haben. Und gerade eine Ausstellung wie „Der Berg ruft!“ zieht zumindest doppelt so viele Zuseher an wie im Allgemeinen Salzburger Landesausstellungen.(20)

Es zeigt sich weiters, daß es nicht unbedingt die „unberührte Natur“ ist, die die Menschen anziehen muß. Massenhaft praktiziertes Hallenschifahren in Japan und neuerdings auch im Ruhrgebiet zeigen zum Beispiel, daß es auch anders geht und durch industrielle Fertigungen „reproduzierte Natur“ ebenfalls für Massen zur Attraktion werden kann.(21)

Anhand dieser divergierenden Beispiele läßt sich andeuten, daß zwar die Sinnlichkeit der Bewegung, der Ernäherung usw. durchaus für viele Menschen eine Rolle spielt, aber zugleich die Vorstellungswelten, die Virtualitäten wieder mehr in den Vordergrund rücken. Soweit die materielle Basis vorhanden ist (die durch Arbeitslosigkeit, Massenbelastungen usw. gesenkt werden kann), kommt es daher auf die Vermittlung kultureller Angebote an. Daß Kultur in heutigen Prozessen nicht automatisch eine Rolle spielt, hat Stremlow in seiner Studie gezeigt.(22) Und diese Studie wirft weiters die Frage auf, ob durch die Nicht-Einbeziehung kultureller Überlegungen in heutige Berg-Projekte gerade auch einiges Destruktionspotential im Umgang mit den Bergen freigesetzt werden kann, das für niemanden wünschenswert ist – weder für das Individuum, das sich sehr rasch in tödliche Gefahr begibt, noch für die Bewohner der Bergregionen noch für diejenigen, die auf das Wasser aus den Bergen, die Funktionen der Berge für das Klima usw. angewiesen sind.

 

3. Multiperspektivik – Gemeinsamkeiten und Divergenzen

Mit der obigen Erwähnung von Japan wurde angedeutet, daß es einen gemeinsamen alltäglichen kulturellen Zugang selbst über große Distanzen hinweg gibt. Dies scheint sich auch in der Namensgebung auszudrücken. So wird der Begriff „Alpen“ nicht nur in Europa, sondern eben auch in Japan oder Neuseeland für Gebirge verwendet(23).

Ein kurzer Blick auf die Entwicklung zeigt, daß die kulturellen Zugänge der Menschen zu den Bergen weltweit viele Gemeinsamkeiten aufzuweisen haben, zugleich aber auch große (historische) Unterschiede existieren. In diesem Zusammenhang möchte ich einige Beobachtungen anführen, denen im Rahmen des INST(24)-Projektes „Die Namen der Berge“ systematisch nachgegangen werden soll. Dieses komplexe Projekt dient der Einrichtung und Errichtung eines Weltmuseums der Berge, einer Weltausstellung der Berge (beide auf 1.700m Höhe) und einer Galerie der Berge (auf 2.700m). Als transdisziplinäres Projekt umfaßt es sowohl Forschungen zu den kulturellen Zugängen der Menschen zu den Bergen als auch zu Darstellungsmöglichkeiten für ein Massenpublikum, die in Zusammenarbeit mit KünstlerInnen, PädagogInnen, MuseumsspezialistInnen erarbeit werden.

Inhaltlich sind zunächst die Gemeinsamkeiten hervorzuheben, die im Rahmen der INST-Konferenz „Die Namen der Berge“(25) herausgearbeitet wurden. Ausgegangen wurde von Arbeitshypothesen von Otto Kronsteiner (Salzburg), der im Rahmen des Kulturseminars „Berge, Kultur, Politik“ in der Ramsau im Sommer 1998 herausgearbeitet hatte, daß sich weltweit Gemeinsamkeiten bei der Benennung der Berge finden lassen. Diese wurden durch Beiträge von WissenschafterInnen von allen Kontinenten bestätigt. Siehe dazu die Abschnitte Die Namen und Anschauungen auf der Startseite des INST-Weltprojektes der Berge im WWW, die ständig ergänzt werden.

Zugleich zeigt sich aber auch anhand der „Enzyklopädie vielsprachiger Kulturwissenschaften“(26), einem weiteren INST-Projekt, daß bereits das Verständnis von Kultur recht unterschiedlich ist. Während der Begriff Kultur in Europa gemeinhin mit der Landwirtschaft verbunden ist (nicht nur von der Sprachgeschichte, sondern auch von der Bedeutungssetzung), ist er im Arabischen mit der Stadt verbunden. Ein Verständnis, das aber dynamischen Veränderungen unterliegt, wie wir im Folgenden noch sehen werden.

Diese und viele andere gemeinsame und unterschiedliche kulturelle Zugänge sind zu beachten, gerade wenn es darum geht, Gäste weltweit für Begegnungen in neuer Qualität zu gewinnen. Dabei geht es nicht darum, künstliche Illusionen zu erzeugen (wie dies im Zusammenhang mit der Schweiz im 18. Jahrhundert der Fall war(27); ein Klischee, das bis heute nachwirkt und offensichtlich nach wie vor massenwirksam ist). Vielmehr geht der Vorschlag in die Richtung, durch die Schaffung realer Möglichkeiten eine Attraktivität zu erreichen, die Fun-Projekten, die sich in aller Welt gleichen, meist abgeht. Dazu gibt es für finanzkräftige Eliten bereits etliche Möglichkeiten. Für ein Massenpublikum sind andere Ansätze zu finden.

 

4. Industrialisierung und Virtualisierung

Die neuere Entwicklung im Rahmen des Massentourismus ist also nicht nur geprägt durch eine Rationalisierung der Erkenntnisse, durch die „Eroberung“ der Landschaft, sondern auch durch Vorstellungsbildungen, Virtualisierungen. Sie gehen der Neugestaltung der Lebensverhältnisse voran und sind durch vielfältige Faktoren geprägt, wobei bisher die Materialität im Vordergrund stand:

4.1. In der Ramsau am Dachstein (Steiermark/Österreich), wo das INST sein Weltprojekt der Berge in enger Kooperation mit der Gemeinde realisieren will, sind zum Beispiel entlang eines Wanderweges Tafeln zu finden, die die TouristInnen darauf aufmerksam machen, daß es ihre VorgängerInnen im 19. Jahrhundert waren, die den Lebensrhythmus der Bauern (z.B. Essenszeit) neu bestimmt haben. Hintergrund dafür ist die Veränderung der Beziehung zum Land. Es sind nicht mehr nur Adelige, die sich eigene Bauten errichten, um vor allem der Hitze des Sommers in den Städten zu entgehen oder zu jagen, sondern zunehmend auch (reiche) Bürger, die nach Möglichkeiten suchen, „Urlaub“ auf dem Lande zu machen. Und Ihnen folgen dann die Arbeiter vor allem aus den Industrie-Betrieben. Die Vorstellungswelt wird dabei von Traditionen bestimmt, wobei diese Möglichkeiten durch den Wandel der materiellen Möglichkeiten neuen sozialen Gruppen in der Gesellschaft erschlossen werden.(28)

4.2. Ein Einfluß der Stadt auf das Land ist gerade anhand der Ramsau sehr stark zu bemerken: an der Infrastruktur, der Architektur, den touristischen Einrichtungen (Schilifte und anderes, industriell Gefertigtes). Die Industriekultur hat in Materialien und Bauweise nicht nur Spuren hinterlassen, sondern den Alltag und die Landschaft geprägt.(29) Dennoch wirken zum Teil jahrhundertealte kulturelle Elemente nach wie vor in der Ramsau nach: Namensgebung, Besitztümer, Religionen, Alltagsrituale und vieles mehr.(30) In der Bewerbung wirken jedoch trotz aller Modernität die Klischees aus dem 18. Jahrhundert nach.

4.3. Diese Beispiele zeigen, daß der Tourismus nicht nur die Landschaft umgestaltet, sondern auch die Lebensweise der Menschen (äußerlich an den Straßen und Bauten feststellbar, aber auch zum Beispiel an den Speisekarten der touristischen Einrichtungen und der Präsentation nach außen). Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, daß der Tourismus das materielle Lebensniveau in der Ramsau (aber auch in allen anderen Touristenorten) angehoben hat (und zum Teil sogar sehr wesentlich). Die Industrialisierung wirkte sich also nicht nur dort aus, wo Industriebetriebe waren, sondern auch dort, wo Menschen hingingen, deren materielle Möglichkeiten von dieser Industrialisierung geprägt waren.(31)

4.4. Auch in der Ramsau ist man nicht nur davon ausgegangen, daß die natürlichen Gegebenheiten ausreichend sind. Vor allem die Nordischen Weltmeisterschaften 1999 haben gezeigt, daß ganz bewußt Projekte entwickelt werden müssen, um neue Möglichkeiten (erfolgreich) zu erschließen. Im Sport hat die Weltbegegnung in der Ramsau also bereits stattgefunden (und zwar nicht nur im Rahmen der Weltmeisterschaften).

4.5. Gerade im Zusammenhang mit der Entwicklung von Tourismus-Projekten wurden unterschiedliche Industrie-Erzeugnisse verwendet. Aber auch die Steigerung der Produktivität in der Landwirtschaft (nicht nur in dieser Region) ist unmittelbar mit Wissenschaft und Einsatz von Technologien verbunden.

4.6. Heute gibt es ein großes Bedauern, weil die alten Fertigkeiten und Bauten durch Elemente der Industrie-Kultur ersetzt wurden. Und schon scheinen diese „Industrie-Projekte“ der 60er und 70er Jahre in Gefahr. Während anderswo(32) die Bedeutung dieser Kultur erkannt wurde und ihre Bauten bereits zum Teil unter Denkmalschutz stehen und einzelne Objekte von der UNESCO sogar dem Weltkulturerbe zugerechnet werden, scheinen in vielen ländlichen Gebieten Industrie-Kulturgüter in Gefahr zu sein, nostalgischen oder „moderneren“ Bauten weichen zu müssen, ohne zu verstehen, welche Problematik in diesen Ersetzungen liegt (und wie sie die Attraktivität einer Region senken).

Dies sind nur einige wenige Beispiele, in deren Zusammenhang Kulturwissenschaften systematische Forschungen betreiben und so zu einer Kulturalisierung beitragen könnten. Für die Entwicklung von (touristischen) Strategien sind sie angesichts der Veränderungen in Klima, Lebensweisen, materiellen Möglichkeiten, aber auch im Umgang mit Traditionen und der Entwicklung neuer Kulturprojekte unerläßlich.

 

5. Das Projekt „Die Namen der Berge“

Das Projekt „Die Namen der Berge“(33) versucht, heutigen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Im Kern beinhaltet es den Versuch, „Weltkultur“ im Goetheschen Sinne zu realisieren. Oder anders formuliert: mit dem Projekt sollen Angebote an Wissenschaften, aber auch an ein Massenpublikum gemacht werden, die gerade das realisieren, was Goethe als eigentliches Element der Herausbildung einer „Weltkultur“ ansah: eine neue Qualität der Begegnung von Menschen.(34) In diesem (kulturellen) Zusammenhang sind einige Hauptgesichtspunkte:

5.1. Gerade weil es ein Weltprojekt ist, wird es in enger Kooperation mit allen in der Region relevanten Einrichtungen und Organisationen vorbereitet. Es soll nicht Altes vernichten, sondern zum Verständnis von Traditionen beitragen. Aber im Rahmen dieses Projektes sollen auch Vorschläge gemacht werden, um Zukunftsfähiges zu entwickeln. Die Ramsau am Dachstein könnte in diesem Sinne zu einem Ort für einen weltweiten Diskurs werden.

5.2. Das Projekt nutzt durchgehend vorhandene Einrichtungen (die Alm-Hütte vom Bergsteiger Hans Walcher beim Hotel Dachstein auf 1.700m Höhe für das Weltmuseum, den Grund der Seilbahn im Bereich der Talstation, Räumlichkeiten in der Bergstation). Das Projekt stellt daher keine Belastung der Umwelt dar und berücksichtigt auch in seiner architektonischen Gestaltung sowohl die Traditionen (Almhütte, Talstation der Seilbahn als Industriebau der 60er Jahre) als auch potentielle Möglichkeiten vor allem im Bereich der Virtualisierungen.

5.3. Im Rahmen des Projektes wird versucht, möglichst viel Material (Benennungen, Bilder, Alltagsgegenstände, Kletterausrüstungen, Küchenrezepte, Möbel, Teppiche, Produktionsmittel, Geräte usw.) weltweit zu erfassen. Obwohl die Räumlichkeiten beschränkt sind, ist durch die Virtualität eine nahezu unbeschränkte Darstellungskapazität vorhanden.

5.4. Das Projekt ist transdisziplinär im Sinne einer engen Kooperation von Kulturwissenschaft, Künsten, Tourismus, Pädagogik und weiteren Bereichen konzipiert. Es baut auf vorhanden Forschungen auf und versteht sich als langfristiger Prozeß. Zu seinen methodologischen Grundlagen vergleiche auch: Herbert Arlt (Hrsg.): Kulturwissenschaft – transdisziplinär, transnational, online. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 2000, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage.

5.5. Ein entscheidendes Merkmal des Projektes ist die Multiperspektivik. Bis zum Sommer 2002 waren 100 ProjektteilnehmerInnen aus 50 Ländern einbezogen (bei derzeit 192 Ländern und 85 abhängigen Gebieten weltweit). Unterstützt wird es von einer Resolution der UNESCO-Generalversammlung vom 31.10.2001. Der Ausgangspunkt dieses Projektes ist die Vielsprachigkeit, die nicht nur in der Vielzahl der Benennungen berücksichtigt wird, sondern auch durch die sprachlichen Kontexte. Hier ergänzen sich die INST-Projekte „Die Namen der Berge“ und die „Enzyklopädie vielsprachiger Kulturwissenschaften“. Beide sind Teil der komplexen INST-Forschungsstrategie zum Themenbereich „Das Verbindende der Kulturen„.

5.6. Die Darstellung der Materials erfolgt auf der Basis der Kenntnis der modernsten Formen der Präsentation und bezieht sowohl künstlerisches als auch (museums)pädagogisches Wissen ein. Obwohl von ForscherInnen entwickelt, wendet es sich nicht nur an die WissenschafterInnen, ForscherInnen und KünstlerInnen, sondern auch an ein Massenpublikum.

5.7. Für die Nachhaltigkeit ist entscheidend, daß eine enge Kooperation mit Wirtschaftsbetrieben (Hotels, Seilbahn), aber auch sehr unterschiedlichen Organisationen weltweit erfolgt. Durch die Möglichkeit der Nutzung vorhandener Infrastrukturen (darunter das Veranstaltungszentrum in der Ramsau) ist erst die Basis gegeben, um den Prozeß kurzfristig erfolgreich gestalten zu können.

5.8. Die Einbeziehung der (Kultur-)Landschaft ist ein Hauptelement des Projektes. So sind zum Beispiel die Materialien der zu errichtenden Weltausstellung Stahl und Beton. Im Winter jedoch ist zu erwarten, daß diese Ausstellung eingeschneit wird und die Natur daher die Möglichkeit hat, ihre Macht zu zeigen. Aber auch Wanderungen, Klettertouren, die Erforschung der landwirtschaftlichen Produktion und Küche bieten sich an. So wie zum Beispiel mit der „Galerie der Berge“ auf 2.700m Höhe in der Bergstation der Dachsteinseilbahn die Dachsteinsüdwand mit den künstlerischen Werken konfrontiert werden, so können auch die anderen Elemente des Weltprojektes anhand der Landschaft überprüft bzw. durch sie kontrastiert werden. Die Konfrontation und Verbindung von Realität und Virtualität wird dadurch möglich und kann anders realisiert werden als in einer Stadt, in der es bei der Virtualität bleiben muß.

5.9. Im Interesse der Begegnungen an einem konkreten Ort treffen sich die Interessen der Kulturwissenschaften und der Tourismuswirtschaft. Gerade im Rahmen dieses Projektes könnte sich daher zeigen, daß Tourismus auch durchaus als Kulturaustausch funktionieren kann – sogar für ein Massenpublikum.

 

6. Realität und Virtualität

An dieser Stelle möchte ich auf Bernal und seine Geschichte der Wissenschaften zurückkommen. Erfahrungen sind etliche gemacht worden und gerade in der Ramsau arbeiten Menschen im Tourismus, die sehr sorgfältig ihre Erfahrungen abwägen. Zugleich ist dieses Projekt aber auch theoriegeleitet. Kerngedanke ist in diesem Zusammenhang, daß es gerade kulturwissenschaftliche Erkenntnisse sein könnten, die aufgrund der gegenwärtigen Entwicklungen neue Impulse einbringen können. Das Projekt „Die Namen der Berge“ ist in diesem Zusammenhang ein konkretes Experiment (ein Wort, das sowohl von Bernal als auch von der Avantgarde positiv besetzt wird), das aufgrund bisheriger Erfahrungen sorgfältig vorbereitet wurde. So fand am 4.5.2001 im Veranstaltungszentrum in der Ramsau die Präsentation des Projektes statt. Anwesend waren unter anderem der Bürgermeister, der Vizebürgermeister, Gemeinderäte, der Pfarrer, der Vorstandsvorsitzende der Seilbahn, VertreterInnen von Tourismusverband, Verkehrsbetrieben, Übernachtungsbetrieben, Kulturinitiativen und vielen anderen Einrichtungen. Von diesem Gremium wurde das Projekt mit dem Projektleiter diskutiert. Und damit fand eine Konfrontation der Virtualität des Projektentwurfs mit der Realität (aber auch Virtualität) der Menschen dieser Region statt. Den Medien wurde das Projekt am 4.6.2001 vorgestellt. Weitere öffentlichen Vorstellungen der Modelle folgen in der Ramsau und Wien. Und erste Zwischenergebnisse werden im Juli 2002 präsentiert werden. Eine Umsetzung (vor allem der Baupläne) musste angesichts der Sparpläne auf 2004 verschoben werden.

Aber auch die Folgejahre werden weitere Prüfungen mit sich bringen. Es werden eine Vielzahl von Möglichkeiten angeboten werden, interaktiv durch die Zur-Verfügung-Stellung von Materialien, von Projekt-Beschreibungen, von Thesen usw. mitzuwirken. Gerade durch diese Interaktivität, die sowohl via WWW als auch durch Begegnungen vor Ort im Rahmen von diversen Veranstaltungen möglich sind, könnte sich das realisieren, was als relativ alter Begriff von Weltkultur wiederentdeckt wurde, der aber mit neuen Inhalten zu versehen ist.

 

Literaturverzeichnis

Monographien, Lexika

  • Bernal, John Desmond: Science in History. Die Entstehung der Wissenschaft. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1970.
  • Dirlinger, Helga: Bergbilder: Die Wahrnehmung alpiner Wildnis in der englischen Gesellschaft 1700-1850. Historisch-anthropologische Studien. Wien, Frankfurt, Berlin: Schriftenreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Historische Anthropologie in Wien 2000.
  • Geographica. Der große Weltatlas mit Länderlexikon. Herausgeber: Penny Martin. Köln: Könemann Verlagsgesellschaft 1999.
  • Groh, Dieter/Groh, Ruth: Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur. Frankfurt am Main: suhrkamp 1991.
  • Haid, Barbara/ Haid, Hans: Bio-Gourmet in den Alpen. Ein kulinarisch-kultureller Wegweiser. Bad Sauerbrunn: Edition Tau 1998.
  • Haid, Hans: Mythos und Kult in den Alpen. 2., erweiterte Auflage. Bad Sauerbrunn: Edition Tau&Tau Type 1992.
  • Hartl, Helmut/Peer, Thomas: Die Pflanzenwelt der Hohen Tauern. Herausgegeben von der Nationalparkkommission Hohe Tauern. Klagenfurt: Universitätsverlag Carinthia 1992. 3., aktualisierte Ausgabe.
  • Messner, Reinhold: Berg Heil. Heile Berge? Rettet die Alpen. München: BLV Verlagsgesellschaft 1997.
  • Pohl, Heinz Dieter: Wörterbuch der Bergnamen Österreichs. 1. Kurzgefaßtes Verzeichnis der österreichischen Bergnamen. Salzburg 1984.
  • Rapp, Christian: Höhenrausch. Der deutsche Bergfilm. Wien: Sonderzahl 1997.
  • Said, Edward W.: Culture and Imperialism. New York: First Vintage Books 1994.
  • Stremlow, Matthias: Die Alpen aus der Untersicht. Von der Verheissung der nahen Fremde zur Sportarena. Kontinuität und Wandel von Alpenbildern seit 1700. Bern, Stuttgart, Wien: Verlag Paul Haupt 1998.
  • Tschofen, Bernhard: Berg Kultur Moderne. Volkskundliches aus den Alpen. Wien: Sonderzahl 1999.
  • Wirth, Eugen: Theoretische Geographie. Grundzüge einer theoretischen Kulturgeographie. Stuttgart: B.G. Teubner 1979.

Sammelbände, Kataloge

  • Buchner, Gerhard (Hrsg.): Lieder unserer Berge. Bonn: Voggenreiter Verlag 1999.
  • Groh, Dieter/Groh, Ruth: Von den schrecklichen zu den erhabenen Bergen. Zur Entstehung ästhetischer Naturerfahrung. In: Heinz-Dieter Weber (Hrsg.): Vom Wandel des neuzeitlichen Naturbegriffs. Konstanz: Konstanzer Bibliothek 1989, Bd.13, S.53-95.
  • Haid, Gerlinde/Haid, Hans (Hrsg.): Alpenbräuche. Riten und Traditionen in den Alpen. Bad Sauerbrunn: Edition Tau 1994.
  • Martin Uitz (Idee, Konzeption und Gesamtleitung): Der Berg ruft! Die Alpinismus-Ausstellung im Salzburger Land. Altenmarkt-Zauchensee, 15. April 2000 bis 4. November 2001. Katalog.
  • Uitz, Martin/ Audrey Salkeld (Hrsg.): Der Berg ruft! Salzburg – München: Verlag Anton Pustet 2000.
  • Wellmann, Angelika (Hrsg.): Was der Berg ruft. Das Buch der Gipfel und Abgründe. Leipzig: Reclam Verlag 2000.

Im WWW:

 


ANMERKUNGEN

* Erschienen in: Kurt Luger/Franz Rest (Hrsg.): Der Alpentourismus. Entwicklungspotenziale im Spannungsfeld von Kultur, Ökonomie und Ökologie. Studienverlag: Innsbruck 2002.

(1) In der „Enzyklopädie vielsprachiger Kulturwissenschaften“ verweist Birgit Mersmann darauf, daß der Begriff bereits in der antiken Philosophie verwendet wird. Vgl: diess.: Virtualität. Versuch einer terminologischen Verdichtung. Im WWW: http://www.inst.at/ausstellung/enzy/reflexions/mersmann_birgit.htm Abfrage vom 2.9.2001.

(2) Im Stück „Broadway-Melodie 1492“, einem „Globalisierungsstück“ aus dem Jahre 1937, finden sich folgende Verszeilen: „Wo blüht im Land noch unentdeckt/ Ein Apfelbaum im Garten?/ Wo ist der Globus unbefleckt?/ Er wird bekleckt und abgesteckt,/ Und Länder werden Karten.“ In: Jura Soyfer: Szenen und Stücke. Wien: Europaverlag 1993. 2., überarbeitete Auflage, S.258.

(3) Vgl. den Bericht „Profitträchtiges Dach der Welt“ in der Tageszeitung „Der Standard“, Wien, 31.5.2001.

(4) So waren Ausstellungen zur Bildenden Kunst in Wien und Krems zu sehen, zur Darstellung in Faltprospekten in Innsbruck. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Darstellung der Marginalisierung der Berge: Toni Kleinlercher: demontage. Interventionen in realen und virtuellen Landschaften. Katalog anlässlich der Ausstellung demontage im Alpinen Museum des Deutschen Alpenvereins, München, 26.10.-11.11.2000. Wien: Triton 2000. Es ist die Widerspiegelung eines Prozesses, der in vielfältiger Weise bereits durch die Industrie-Produktion vorweggenommen wurde (Beispiel: der Erzberg in der Steiermark).

(5) Siehe dazu auch das Literaturverzeichnis im Anhang, das einige wenige Beispiele anbietet. Im Gegensatz dazu berücksichtigt die Bibliographie des Fernsehsenders ARTE vor allem die Aspekte „Bergsteigen“ und „Natur“. Und dies, obwohl in der Sendung „Mit offenen Karten“ in der ersten Jahreshälfte 2001 in mehreren Folgen auch ausgezeichnete kulturelle Überblicke geboten wurden. Filmfestivals und Kulturseminare finden außerdem in Graz, der Ramsau, Zermatt sowie in einer Reihe weiterer Gemeinden und Städte in Europa statt.

(6) Die wissenschaftlichen Arbeiten sind noch bis ins 18. Jahrhundert von Furcht begleitet. Sogar die Existenz von Drachen in den Alpen wird von einem Geologen zu dieser Zeit noch angenommen. Stremlow (1998, S.50): „Bis weit ins 17. Jahrhundert wurde mit wenigen Ausnahmen nur diejenige Natur als schön empfunden, die den Schrecken, der von Wildnis ausging, durch die menschliche Bearbeitung verloren hatte. Eine schöne Landschaft war mit dem Attribut ’nützlich‘ gekoppelt. […] Vor allem die Alpen galten als ’natura lapsa‘, als verdorbene Erde. Das irdische Paradies dachte man sich ohne Berge. Die Alpen wurden entsprechend als Mahnmale an den Sündenfall und die Sintflut betrachtet. In dieser Sichtweise erschienen sie beispielsweise als Warzen auf der Erdoberfläche. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts setzten sich […] Strömungen in Theologie, Philosophie und Physik durch, die sich gegen diese düstere und endzeitliche Weltsicht wandten.“ Dies entspricht auch ganz dem europäischen Kulturbegriff (vgl. Abschnitt 3), der auf die Landwirtschaft zurückzuführen ist.

(7) Geographica (1999), S.14. Bemerkenswert ist, daß zur Charakterisierung der Länder in diesem Weltatlas auch jeweils der höchste Berg eines Landes oder eines abhängigen Gebietes angeführt wird. Das reicht von einigen wenigen Metern Höhe bis zu den 8000ern im Himalaja.

(8) In den Arbeiten von Groh/Groh, Dirlinger, Stremlow und anderen wird vor allem die Physikotheologie als die Strömung hervorgehoben, die die Wende in den kulturellen Zugängen zu den Bergen brachte. Zugleich wird von Stremlow herausgearbeitet, daß für eine positive Rezeption auch gesellschaftspolitische Wünsche eine große Rolle spielten (z.B. die Schweiz als freies, demokratisches Land; s. dazu auch Anm. 27).

(9) Vgl. zu Mythen, Riten, Kulten Bräuchen usw. auch das Literaturverzeichnis. Ironisch wird das Klischee zum Beispiel aufgegriffen von Cees Nooteboom: In den niederländischen Bergen. Frankfurt am Main: suhrkamp 1993. Hier finden sich alle Schrecknisse einer „Alpen“-Überquerung.

(10) Zum Beispiel Prospekte zu Kals bzw. dem Nationalpark Hohe Tauern aus 2001.

(11) Stremlow 1998, S.91: „Das Interesse an einer Gegenwelt ‚Natur‘ muss als Reflex auf grundlegende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen und als ein Unbehagen am Modernisierungsprozeß gewertet werden. In der ästhetischen Vergegenwärtigung von Natur als Landschaft äussert sich ein Bedürfnis nach Begegnung mit der verlorenen Natur. Geprägt durch einen städtisch-intellektuellen Standpunkt wurden dabei die räumlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der Alpen zu einem idealisierten Weltentwurf zusammengesetzt. Aus der Sicht einer sich verändernden urbanen Kulturerfahrung erschienen die Alpen ursprünglich und unverfälscht. Damit war die Grundlage gegeben, diesen Raum als unabhängig von geschichtlichen Prozessen zu interpretieren. Die Betonung der Geschichtslosigkeit des Alpenraumes ermöglichte die gewünschte Projektionsgrundlage. Man bezog sich dabei nicht nur auf die Alpen, sondern auch auf die einheimische Bergbevölkerung.“ Diese Schlußfolgerungen stehen ganz im Gegensatz zum Beispiel zur Darstellung der Künste unter dem Titel „Begegnungen in der Nationalparkregion Hohe Tauern-Tirol“ von Siegmund Kurzthaler, die der Kunst nur vier Seiten widmet und sie von der kulturellen Gesamtentwicklung abkoppelt. Ders.: Geschichte – Kunst – Kultur. Innsbruck: Edition Löwenzahn 1997.

(12) Im Prospekt des „Nationalparks Hohe Tauern“ (Matrei i.O. o.J.) heißt es einleitend zum Nationalpark: „Die Kernzone birgt hochalpine Naturlandschaft mit weiten Gletschern und Moränen und ausdehnten, alpinen Rasen. Im Zentrum trohnt der Großglockner, der mit 3.798m höchster Berger Österreichs. Die Außenzone beherbergt alpine Kulturlandschaft mit seit Hunderten von Jahren gepflegten Almweiden und Bergmähdern.“ Und unter „Naturlandschaften“ findet sich dann die Formulierung „unberührte, weite Rasenflächen“ – und dies bei einem nicht gerade geringen Touristenaufkommen. Vgl. dazu auch die Monographie „Die Pflanzenwelt der Hohen Tauern“.

(13) Als eines von vielen Beispielen zitiere ich aus dem Buch „Naturparadies Julische Alpen“ von Ingrid Pilz: „Der Triglav ist für die Slowenen viel mehr als nur der höchste Berg ihres Landes – er ist das Symbol ihres Volkes, seit ihrer Unabhängigkeitserklärung im Juni 1991 Symbol ihrer Republik. Den Triglav ‚besteigt‘ man nicht – auf den Triglav ‚pilgert‘ man. Die Ersteigung ist für viele Slowenen nicht nur eine bergsteigerische Leistung, sondern auch eine Herzensangelegenheit, eine patriotische Tat, und nicht selten erschallen Chorgesänge vom Gipfel.“ (Graz, Wien, Köln: Verlag Styria 1999.) Vgl. dazu auch weitere Beiträge über andere postkommunistische Länder in „Die Namen der Berge“ im WWW.

(14) Aufgrund eines Erlebnisses, das Uitz (2000, S.8) im Prolog zum Buch „Der Berg ruft!“ darstellt, kommt er zur Schlußfolgerung: „Ich werde immer Wanderer bleiben. Ich höre den Berg rufen, aber da sind Linien, die ich nicht überschreite. Ich lese die Geschichten, die Bergsteiger erzählen, die diese Linien immer wieder überschritten haben und überschreiten werden.“ (Ebd., S.9.)

(15) Vgl. dazu in TRANS: Leander Petzoldt: Folklore zwischen Globalisierung und Kommerz. Der Beitrag erscheint im Oktober 2001 in Nr.11 zum Themenschwerpunkt „Multikulturalität, Gemeinden, Tourismuskonzepte“.

(16) Haid 1998, S.7 zu seinem Gourmet-Führer: „Es ist ein Buch zum Erwandern, Erfahren, Verkosten und Weiterempfehlen, eine Mund-zu-Mund-Erfahrung, mit Bauch und Herz erlebbares NEUES Leben in den Alpen knapp an der Schwelle zum dritten Jahrtausend. […] BIO und ÖKO ist (sic) wirkliche Fortschrittlichkeit aus den Wurzeln, aus der neuen AGRICULTUR, tausendfach und seit Jahrtausenden bewährt, dann vergessen, dann chemisch verseucht, dann wiederentdeckt, dann wirkliches LEBENS-Mittel.“

(17) Im Buch „Häuser der Welt“ heißt es im Abschnitt „Häuser in den Bergen“: Sie stellen eine moderne Version jener ersten Konstruktionen dar, die aus historischen und ökonomischen Gründen in dieser besonderen Lage errichtet wurden. Hierbei zeigt sich eine Veränderung der Werte sowie ein Wandel in der Verwendung traditioneller Bauelemente: Architekten nutzten die Möglichkeiten der Technologie in ihren Konstruktionen, um so den klimatischen und geographischen Schwierigkeiten entgegenzuwirken und für zeitgemäßen Komfort und Bequemlichkeit zu sorgen. […] Die charakteristischen Merkmale der traditionellen Bauweise zeigten den zeitgenössischen Architekten vor allem eines: Ein Gebäude muß schlicht sein, um dem extremen Klima und den schwierigen topografischen Gegebenheiten standhalten zu können, die bezeichnend für das Gebirge sind. […] In alten Gebäuden wurden die Öffnungen entsprechend klein gehalten, um einen größtmöglichen Schutz vor der Kälte zu gewährleisten. Heute hingegen öffnen sich die Bauwerke der Witterung zum Trotz durch große Fensterfronten nach außen. Der Beitrag der zeitgenössischen Architektur besteht in eben dieser Freiheit, mit der die traditionellen Antworten auf die Probleme der Umgebung aufgegriffen und schier unendlich variiert werden. Ein Gebäude muss sich nicht völlig in seine unmittelbare Umgebung integrieren, es besteht keine Notwendigkeit sich verborgen zu halten oder sich den extremen Bedingungen zu fügen.“ In: Paco Asensio (Hrsg.): Häuser der Welt. Köln: Könemann Verlagsgesellschaft mbH 2000, S.828/829.

(18) Vgl. zur allgemeinen Entwicklung: Therese Mulligan/ David Wooters: Geschichte der Photographie 1839 bis heute. Köln: Benedikt Taschen Verlag GmbH 2000.

(19) Die Wissenschaft prägte die Veränderung der Lebensverhältnisse indirekt durch die industriellen Revolutionen, die erst die materielle Massenbasis für den Berg-Tourismus schufen. Aber ihre Ergebnisse sind auch im Alltagsdenken wiederzufinden. In der Entwicklung sich daher zwar – wie wir anhand der sich seit vor allem seit dem 18. Jahrhundert verändernden Anschauungsformen sehen – Ungleichzeitigkeiten in der Wahrnehmung der Berge in den Wissenschaften und im Alltag. Gerade durch die Nicht-Reflexion der kulturellen Prozesse durch die traditionellen Geisteswissenschaften kam es zur Bildung von Klischees und nicht notwendigen, destruktiven Entwicklungen.

(20) Siehe den Katalog „Der Berg ruft!“ im Literaturverzeichnis. Obwohl er sich auf das Bergsteigen konzentriert, versucht er doch Multiperspektivik zu entwickeln und Alltag einzubeziehen.

(21) Diese Form der Virtualisierung wird bereits seit Jahrtausenden in den Künsten praktiziert. Gerade durch die Vorstellungsbildungen, die durch Künste beeinflußt wurden, bekamen auch die Berge im positiven und im negativen Sinne ihre kulturellen Bedeutungen. So wurden seit dem 18. Jahrhundert in Theatern in den Städten Berge „nachgebaut“. Es folgte der Boom der Berg-Filme seit den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Heutige Virtualisierungen unterscheiden sich bisher hauptsächlich durch den Einsatz einer anderen Technologie und durch einen anderen Stellenwert, der nun scheinbar „beherrschbaren“ Berge, aber oft nicht in den Inhalten.

(22) Stremlow 1998, S.240ff.: Die Alpenwahrnehmung im Aktivsportbereich der 90er Jahre. Hier: S.266: „Wenn ich die Alpenwahrnehmung in den untersuchten Aktivsportarten pointiert als Funktionalisierung der Alpen als Sportarena zusammenfasse, stellt sich die Frage, inwieweit das Sporttreiben in den Alpen noch zu einer kognitiven sowie im Gefühl verankerten Beziehung von Mensch und Umwelt beiträgt. Allgemein wird davon ausgegangen, daß gerade Outdoorsport ein Naturerlebnis vermittelt und damit einer Entfremdung der Menschen von der Natur entgegenwirkt. […] In einer Untersuchung von Hartmann zu den aktuellen Risiko- und Funsportarten […] taucht schliesslich das Naturerlebnis überhaupt nicht mehr auf.“

(23) Diese Multiperspektivik ist (wie auch anderes) bei Bernal zu vermissen. Bis heute erfolgen die Darstellungen meist nur in additiver Form, womit sich noch weite Forschungsfelder für transdisziplinär und transnational angelegte Forschungen ergeben. Zur Namensgebung in Japan vgl. Naoji Kimura in: „Die Namen der Berge“. Im WWW: http://www.inst.at/berge/perspektiven/kimura.htm Abfrage vom 2.9.2001. Und für Neuseeland: Geographica 1999, S.110. Diese Form der Namensgebung ist aber nicht unproblematisch und steht zum Teil in enger Verbindung mit einer alten imperialistischen Welt, von der nicht nur die Namen geblieben sind. Edward W. Said plädiert in diesem Zusammenhang für eine neue Orientierung: „But we need to go on and to situate these in a geography of other identities, peoples, cultures, and then to study how, despite their differences, they have always overlapped one another, through unhierarchical influence, crossing, incorporation, recollection, deliberate forgetfulness, and, of course, conflict.“ In: ders.: Culture and Imperialism. New York: First Vintage Books 1994, p.330/331. Eine Veränderungspotentialität, die in einer theoretischen Geographie keinen Platz hat, die enthistorisiert ist. Vgl. dazu den Kulturbegriff in Wirth 1979, S.30.

(24) Das INST (Institut zur Erforschung und Förderung österreichischer und internationaler Literaturprozesse, Wien) im WWW: http://www.inst.at/

(25) S. dazu auch das Literaturverzeichnis. Allein im September 2001 kommen ein gutes Dutzend neuer Beiträge hinzu.

(26) Vgl. Literaturverzeichnis.

(27) Stremlow 1998, S.87ff.: „Gerade das reiseliterarische Genre erwies sich unter dem damaligen Diktat der Zensur als taugliche Waffe, auf Missstände hinzuweisen und die eigenen Anliegen, getarnt durch die Projektion in ein fremdes Land, in der Öffentlichkeit zu verfechten. Die Schweiz wurde in dieser auslandsspezifischen Wahrnehmung zu einem freien Land und die Schweizer zu freien Menschen.“

(28) Aber nur das Alltagsverhalten im Urlaub ist – soweit dies materiell machbar ist – durch Traditionen geprägt. Ein heutiges Hotel ist meist wesentlich komfortabler als die alten Schlösser. Und die Bewegungsmöglichkeit wurde wesentlich größer geworden. Neu zu entdecken bleibt eine Kultur, die erst aus den neuen Möglichkeiten zu entwickeln sein wird. Hier bieten sich die tatsächlichen Herausforderungen an.

(29) Anstatt die neuen (kulturellen) Möglichkeiten herauszuarbeiten, werden die alten Klischees aufgewärmt. So Toni Breitfuss (unter Mitarbeit von Wilfried Leder): Führer durch den Europawanderpark der Dachstein-Tauern-Region, Gröbming: Eigenverlag des Regionalverbandes der Dachstein-Tauern-Region 1998, 6. Auflage, S.7: „Die Bezeichnung ‚Europawanderpark Dachstein-Tauern-Region‘ ist nicht nur ein neuzeitlicher (sic) Wertebegriff für eine Erholungslandschaft besonderer Güte im Herzen Österreichs, es (sic) ist vielmehr eine Klassifizierung, die alle Vorzüge dieses schönen Erdfleckens in diesem Begriff in treffender Form zusammenfaßt. Es soll damit zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich um eine industriefreie Wanderlandschaft handelt, deren Erholungswert für den gesamten mitteleuropäischen Raum von Bedeutung ist.“

(30) Vgl. zu Elementen der komplexen Ramsauer Tradition und Gegenwart: Günter Cerwinka: Ramsau am Dachstein. Bauern, Bibel, Berge. Ramsau am Dachstein 1999.

(31) Als eine von vielen Darstellungen, die die Umbrüche im Alltagsleben betreffen, vgl.: Wolfgang Petritsch: Glainach – Eine Kindheit auf dem Lande. In: Barbara Coudenhove-Kalergi (Hrsg.): Meine Wurzeln sind anderswo. Österreichische Identitäten. Wien: Czernin Verlag 2001.

(32) So im Ruhrgebiet. Ein Beispiel dafür sind aber auch die Gasometer in Wien, die am 31.5.2001 ihrer neuen Bestimmung übergeben wurden. Sie sind heute eine Verbindung von alten Industriedenkmälern und modernen Wohnungen und Freizeiteinrichtungen. Fallengelassen aber wurde das Projekt, in den Gasometern Schianlagen einzurichten. (Die Schifahrmöglichkeiten in den Berge der Alpen, die zum Beispiel in der Ramsau am Dachstein imGletschergebiet auch im Sommer gegeben sind, waren dafür zu nah.)

(33) S. Literaturverzeichnis. Unter der dort angegebenen WWW-Adresse ist auch der jeweils neueste Stand der Projektbeschreibung zu finden. Beiträge werden laufend ergänzt. Und es gibt auch eine offene Plattform für Beschreibungen anderer Berg-Projekte.

(34) Dieses Verständnis des Goetheschen Begriffs geht auf Darstellungen und Diskussionen mit Michael Böhler im März 2001 im Rahmen von Veranstaltungen zum Thema „Transnationale Germanistik“ in Seoul/Südkorea zurück.