Gletscher – Mythos … literarische Zeugnisse in Oper & Poesie

Von Hans Haid („Roale“ im Ventertal)

Zur Entweihung, Zerstörung und zum Mißbrauch des Phänomens „GLETSCHER“ in der neuen „Gletschererschließung“ für den Skilauf:

hans haid:
mitten unter uns die umwelt-verbrecher

innhn in fearnar
a schtrooße
mötöörn drau
aukrotzn
aureißn
schintn
zommschiebm
eel nocha
in schlauch drissn
innhn ins eis
dreck und eel
gschtarbm
untn virhakeemen
vierzig joor
schpaatar
innhn in die schneabar
seckle virha
grööbe
mötöörn drau
aukrotzn
oonschiebm
innhn drmit
galt virha
eelwompen
galtwompen
olles niidrmochn
kassiern
sunntog
kircha gean scheinheilig schpeisn schtinkn fressn
saufn schtarbm
amen
und a kreizle drau
olles gezoolt
olles gezoolt
mier hoobms jo

(Übertragung des Ötztalerischen: hinein in den gletscher eine straße motoren drauf aufkratzen aufreißen schinden zusammenschieben öl nach den schlauch zerrissen hinein ins eis dreck und öl gestorben unten herausgekommen vierzig jahre später hinein in die schneebar beutel heraus grobe motoren drauf aufkratzen anschieben hinein damit geld heraus ölwampe geldwampe alles niedermachen kassieren sonntag kirche gehen scheinheilig kommunionempfang stinken fressen saufen sterben amen und ein kreuz drauf alles gezahlt alles gezahlt wir haben es ja).

Vielfältig, meist poetisch verklärt, haben sich Literaten und vor allem Philosophen mit dem Phänomen GLETSCHER auseinandergesetzt. Zumeist sind es Reflexionen anläßlich eines Urlaubes in den Bergen. Die weitaus überwiegende Zahl der folgenden Belege stammt aus dem Kanton Graubünden, vor allem aus dem oberen Engadin.

Friedrich SCHILLER in „Wilhelm Tell“:

Walter:
Vater, s’wird mir eng im weiten Land.
Da wohn ich lieber unter den Lawinen.
Tell:
Ja, wohl ist’s besser, Kind, die Gletscherberge im Rücken haben,
als die bösen Menschen.“

Schiller bezog sich in seinen Angaben über Gletscher und Lawinen im „Wilhelm Tell“ nachweislich auf das zwischen 1706 und 1708 erschienene Werk „Die Natur-Histori des Schweizerlands“ von Johan Jacob SCHEUCHZER:

Lord George Gordon BYRON in seiner Verserzählung „Childe Harolds Pilgerfahrt“ (in: Letters and Journals, Band 5, 1816-1817, London):

Droben sind die Alpen,
Die Dome der Natur, emporgereckt
Bis ins Gewölk mit schneeverhüllten Skalpen.
Da thront in kalter Hoheit, eisbedeckt,
Die Ewigkeit; vom leichten Hauch geweckt,
Stürzt die Lawin, ein Donnerstrahl von Schnee!
Was unsre Seele weitet und erschreckt,
Dort oben wohnt’s. Du eitler Mensch, versteh:
Zum Himmel ragt die Erd empor – kannst du es je ?

Schon 1779, also gut 35 Jahre früher, besingt der englische Historiker und Reisende William COXE in seinen „Sketches of the Natural, Political and Civil State of Swisserland“ das Haslital in der Schweiz unter anderem:

„Welches Chaos von aufeinandergestürzten Bergen liegt hier! Der Anblick ist wild und öde, aber groß …“.

Das Schreckliche, das Trostlose und Schauderhafte klingt immer wieder an; so auch bei Johann Rudolf WYSS in seiner „Reise in das Berner Oberland“, Bern, 1816- 1817:

Du sitzest ruhig dem aufgethürmten Chaos von Gletschern und Schneefeldern gegenüber, vertiefst dich in ein so stilles Erstaunen, und du glaubst den ewigen Tod, das unendliche Schweigen in dieser Behausung des nie entschwindenden Winters einheimisch zu erkennen. Ein Schauer durchbebt dich; du sehnest dich nach einer Spur von Leben; du kömmst dir vor, als einsam vor den Trümmern des Erdballs; der Grashalm vor deinen Füßen ist Erquickung für das Auge, welches erschöpft von den starren Frostgebilden niedersinkt.

Stefan ZWEIG, der Sohn eines wohlhabenden Textilfabrikanten, ist begeistert vom winterlichen Oberengadin und schildert es in empfindsamen und eindrucksvollen Worten.

Aufgehoben aus der Tiefe in die Firnen, liegt dieses weiche Tal …
und dieses Weiss, das makellose, unirdische Weiss des Hochlandschnees …

Es ist aber vor allem das damalige touristische Geschehen im Oberen Engadin und seinen noblen Orten, „der Mummenschanz der Nationen“, wie er es nennt, den er in drastischen Texten schildert. In diesen „Riesenkästen der Riesenhotels“ tummeln sich die Noblen, „seit Jahrzehnten trainiert auf den vornehmen Müssiggang“; das alles während des Großen Krieges, geschrieben vermutlich 1917:

„Das Dinner ist zu Ende, der Maskenball beginnt. Witwen sitzen frierend in allen Gemächern der Welt … Masken und Masken strömen herein. Und wirklich, sie sind wahr. Nirgends ein menschliches Gesicht unter ihnen …“

Im Jahre 1931 erscheint der Roman „Etzel Andergast“ von Jakob WASSERMANN. Dort ist ein Gang ins Schweizerische Fextal beschrieben:

„……Da ist es wieder, das gefärbte Gestein, je nach der Stunde und dem Auffall des Lichts verschieden, der schwarze Granit, der graue Basalt, der rote Porphyr, darüber im Geisterbogen die grünen Dome der Gletscher… Und er sitzt draußen auf dem steinernen Vorbau, sein Auge hängt an der Gewaltigkeit des Gebirges, an den zackigen Graten, von denen Geröllhalden abfallen wie graue moosbesetzte langschleppige Geisterkleider, an der langhingestreckten Talmulde, der sich mit kristallgepanzerter Brust dem Gletscher entgegenwirft als habe er sein Hinaufstürmen in die Ewigkeit zu verteidigen. Die geisterhafte Stille ! Das Blut hebt zu singen an, die Pfiffe der Murmeltiere scheinen dazu da zu sein, um die Stille nicht tödlich für den Menschen zu machen…“

Wieder zurück zum Elegischen, zurück zur Zeit knapp vor 1914. Alfred WEGENER, ein Cousin von Jean PAUL, der „zeitlebens verkannte große Entdecker der Kontinentalverschiebung“, notierte anläßlich einer Fahrt nach Grönland:

„Einen Erdteil aus Eis erhieltst du zum Sarkophag. für dich allein, du Bescheidener, einen Blumenhag ewigen Firns, der dir blüht und in welchem du sinkst, in der Rosigkeit deines Lächelns Frische des Winters trinkst, tausend und tausend sich häufende Jahre Schnee, Flockenjahrhunderte, funkelnden Stillesee …“

Ernst BLOCH, der unter anderem die Augusttage des Jahres 1931 in Maloja zubrachte, verfaßte eine der eindrucksvollsten Schilderungen des „Mythos“ Gletscher:

„Die Berge. von denen die Straße herkommt, wachsen in unglaubwürdige Höhe, sind keine geschrumpfte, gefaltete, emporgeschobene Rinde mehr, haben jeden Blickbezug zum Boden verlassen…Der Gletscher dort oben am Scheitel des Himmels ist der Ort des wildesten Jean Paulschen Traums, des so schrecklichen und tiefsinnigen, daß kaum mehr als die Überschrift ihm gelungen ist: Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei. Kein Weg von hier in den heiteren Wald und die Kirche, die auf irdischen Felsen soeben vorübergleitet…“.

Im Nachgesang zum Werk „Jenseits von Gut und Böse“ schrieb Friedrich NIETZSCHE, der im Sommer 1886 im Engadin weilte, ein längeres Gedicht. Darin findet sich in der zweiten Strophe diese Passage mit der Anspielung auf das „Gletschergrau“:

„Wars nicht für euch, dass sich des Gletschers Grau
Heut schmückt mit Rosen ?
Euch sucht der Bach, sehnsüchtig drängen, stoßen
Sich Wind und Wolke höher heut ins Blau,
Nach euch zu spähn aus fernster Vogel- Schau …“.

Eine Gletscher- Andeutung findet sich auch bei Paul CELAN, poetisch überhöht, entrückt:

„Warum dieses jähe zuhause, mittenaus mittenein ?
Ich kann mich, schau, in dich senken, gletschrig,
du selbst erschlägst deine Brüder:
eher als sie
war ich bei dir, Geschneete….

Schneepart, gebäumt, bis zuletzt,
im Aufwind, vor
den für immer entfensterten
Hütten:

Flachträume schirken
übers
geriffelte Eis ……“.

Im Bergdorf L’Abbaye im Wallis lebt der französisch schreibende Poet Maurice CHAPPAZ. Zeitlebens schrieb er über sein Wallis, auch über die Zerstörungen, auch über das Erz-Katholische dieser Region, auch über die großen Kraftwerksbauten zur Stromgewinnung, über die „Zuhälter des Ewigen Schnees“.

Im Buch „Haute route“ (deutsche Ausgabe, S. 124, sowie S. 101 und S. 34/35) schildert er poetisch und eindrücklich seine Erlebnisse als Mineur.

„Wie aber, wenn sich eine neue Gletscherzeit ansagte, glaziologisch, oder wenigstens nationalökonomisch – mein Traum, seit ich die Gletscher schrumpfen sehe. Ansagte für morgen … Zurückgehen, ständig, dann plötzlich vorrücken … Schweifen, schweifen, April und Mai, wie die Hirsche wandern von Wald zu Wald. Ich höre das Röcheln der Täler, das Ende der Räume: Lärm der Steine, der großen Leere, die nicht abzustecken ist … ( S. 124)

…Schon wägen wir sie ab, die Hostie. Und die anderen ? Allmählich sammelt unser Trupp die Gletscher ein, säbelt sie alle durch, die Marien der Moränen, jene weiblichen Übergänge in der Gipfelecke. Ihre Namen sind so etwas wie kurze Gluckser: Paß, Furgg, Joch. Furgg, was Gabel heißt und Tor für Pforte …

Ihr meint, man müsse sich anseilen ? Meine Skier sind so kurz und die Spalten so lang … „.

Er beschreibt die Riesenhand der Mischabel, die „weißen Wale“ oder die weißen Glocken über den Dächern:

„Es setzen die Dächer von Schnee-Häfen die Gipfel droben in Bewegung, so macht es den Anschein …
Sei gegrüßt, Heiligtum !
Man rührt an Urbildern hier …“.

Es wird überraschen, daß sogar Johann NESTROY in „Der Zerrissene“ in seiner Aneignung von Natur inklusive der Verfremdung, des Zerfalls, der Parodie, den Lips sagen läßt:

„Sag mir ein Land, wo ich was Neues sehr, wo der Wasserfall einen anderen Brauser, der Waldbach einen anderen Murmler, die Wiesenquelle einen anderen Schlängler hat, als ich schon hundertmal gesehen und gehört habe. Führ mich auf einen Gletscher mit schwarzem Schnee und glühenden Eiszapfen. – Segeln wir in einen Weltteil, wo das Waldesgrün lilafarb, wo die Morgenröte paperlgrün is. – Laßt mich aus, die Natur kränkelt auch an einer unerträglichen Stereotypigkeit.“

Schließlich sei noch Karl KRAUS zitiert. Er war unter anderem auch wieder im August 1916 im Engadin, wo er einerseits an den „Letzten Tagen der Menschheit“ gearbeitet hat, wo er aber auch seiner Sidonie ein Gedicht gewidmet hat, im typischen Stil des Satirikers im

Epigramm aufs Hochgebirge:

„Es ist der schönsten Berge Eigenschaft:
sie geben nicht dem Geist, sie nehmen Kraft.

Der Bürger fühlt sich im Gebirg erhoben;
talwärts ist meine Phantasie zerstoben.

Am Alpenglühn entflammen keine Lichter.
Vor höherm Berg gibt’s nur geringern Dichter.

Die Luft der Alpe schafft des Alpdrucks Qual.
Um hoch zu steigen, bleibe ich im Tal.

Den Höhenrausch trink ich nicht von den Höh’n.
Um Sturm zu haben, brauch in nicht den Föhn.

Zu anderer Freiheit bin ich aufgerafft:
die hier bringt meine Sinne in Verhaft.

Den Gletschern dank ich keine Geistesfrische;
mir liegt nicht allzusehr das Malerische ..“

(und schließlich in der zwölften Strophe):

„Der schönste Schnee wird schließlich doch zum Schlamm.
Es ist die Landschaft für ein Epigramm“.

Schließlich fand ich noch ein außeralpines Zeugnis der Literatur über den Schnee, insbesondere über den Gletscher. Vom isländischen Literatur-Nobelpreisträger Halldor LAXNES bleibt als eines der wichtigsten literarischen Dokumente sein Roman „AM GLETSCHER“.

Mir ist (neben Maurice CHAPPAZ) kein Schriftsteller bekannt, der sich so wie LAXNES gleichermaßen intensiv mit dem Phänomen Gletscher befaßt hat. Aus dem Kapitel „Der Gletscher“:

„… Dieser Gletscher ist nie wie ein gewöhnlicher Berg. Wie bereits gesagt, ist er nur eine Kuppe und ragt nicht sehr hoch in den Himmel. Es ist, als hätte dieser Berg keine Meinung.

Er behauptet nichts …

Oft hört man von hellseherischen Leuten, daß ihre Seele den Körper verlassen kann. Das passiert dem Gletscher nicht. Doch das nächste Mal, wenn man wieder hinsieht, hat der Körper den Gletscher verlassen, und nur die Seele ist übrig, in Luft gehüllt. Wie Unterzeichneter weiter oben im Bericht erwähnt hat, steigt der Gletscher zu gewissen Tageszeiten verklärt in einer besonderen Helligkeit da, in goldenem Licht von großer Strahlungskraft, und alles außer ihm wird armselig. Es ist, als gehöre der Berg nicht mehr zur Erdkunde, sondern sei in die Ionosphäre entrückt. Ob nicht der Elfenwidder, den Stößeldora gesehen hat, der Gletscher war? Ein eigenartiger Berg. Des Nachts, wenn die Sonne hinter den Bergen steht, wird der Gletscher zu einem stillen Schattenbild, das in sich selbst ruht und Menschen und Tieren das Wort ‚NIE‘ zuatmet, das vielleicht ’stets‘ bedeutet.

Komm, Hauch des Todes! ( S. 151 f.)“.

In dieser poetischen Reflexion bis zum „Hauch des Todes“ durch LAXNES bin ich jetzt in der Welt der OPER gelandet.

Bis jetzt ist es der Forschung verborgen geblieben, daß der Komponist Ernst KRENEK für seine bekannte Oper „Jonny spielt auf“ wesentliche Passagen am Gletscher spielen läßt.

Aufgrund intensiver Recherchen und Vergleiche zwischen Opern-Libretto und den Lebenserinnerungen (vergleiche „Im Atem der Zeit“) ist eindeutig nachweisbar, daß die Oper am Marzellferner und am Similaun in den Ötztaler Alpen spielt. Auf andere, aber sehr ähnliche Weise wie LAXNES reflektiert auch KRENEK über die besondere Faszination des Gletschers, rund um den „Hauch des Todes“. KRENEK unternahm, wie er bezeugt, anläßlich seines Aufenthaltes in Vent im Ötztal seine „ersten und mehr oder weniger letzten richtigen Hochgebirgstouren“. Die erste davon führte ihn auf den 3606m hohen Similaun, diesen für die Bewohner der Ötztaler Alpen „heiligen“ Gletscherberg, in dessen Nähe im September 1991 der „ÖTZI“ gefunden wurde. Der nachfolgende Auszug aus dem Buch „Im Atem der Zeit“ (S. 296 ) erinnert in den wichtigsten Eindrücken an die später entstandene Oper.

„Der Anblick der Gletscherspalten mit ihren phantastisch geformten grünen und blauen Eiswänden war furchteinflößend und faszinierend. Überall in den unsichtbaren Tiefen tosten bedrohlich die Wassermassen. Manchmal war aus der Ferne ein grauenerregendes Donnern zu hören, wenn nämlich ein Eisblock oder eine Lawine von den hohen Gipfeln losbrach und in die unergründliche Tiefe rutschte oder sprang. Die dünne Bergluft, das schwindelerregende Weiß der ungeheuren Weiten, gegen das der tiefblaue Himmel fast schwarz wirkte, und die kalte Hitze, die das Eis infolge der starken Reflexion ausstrahlte, versetzten mich in einen einzigartigen fieberhaften Zustand, der zu den Empfindungen gehört, nach denen ich mich seither sehne.“

Im Kommentar zum Libretto wird darauf verwiesen, die Selbstmordgedanken des Komponisten Max in der einsamen Gletscherwelt hätten durchaus biografische Züge aufzuweisen. Denn „in Momenten seelischer Krisen zog sich Krenek gerne in die von ihm so geliebten Bergregionen zurück.“ In der siebten Szene will sich Max in Selbstmordabsicht auf den Gletscher stürzen. Max:

„… Es ist Nacht geworden,
wo damals hell der Mittag strahlte.
Wie schön leuchtetest du damals,
mein Gletscher,
o leuchte wieder mir,
der du in Nacht begraben liegst !
Ich rufe dich !
Ich rufe deine Unendlichkeit !
Hilf ! Hilf mir !
Ich kehre ja zurück und will auch
bei dir bleiben, unverführbar.
Sprich zu mir ! Sprich !…

Ein armer Mensch, der Hilfe sucht,
der aus dem Leben fortgestoßen ist,
der heim will.“

Vom „Hauch des Todes“ wie bei LAXNES wird auch der Komponist Max (also Ernst KRENEK) umfangen. Es kommen die Kälte, die Einsamkeit und „der große Tod“:

„Auf den hohen Bergen liegt Schnee.
Auf den hohen Bergen ist das Schweigen.
Auf den hohen Bergen ist die Kälte
des ewigen Himmels nahe.
Auf den hohen Bergen wohnt nichts mehr,
und doch stirbt die Liebe nicht
auf den hohen Bergen.
Die Einsamkeit wölbt sich wie
eine Totenglocke über mich.
Der große Tod kommt zu mir.
Ich habe Angst ! …Waren das nicht ihre Worte?
Sollte ich so dem Leben näher kommen?“

Im Jahre 1891 wurde die Oper „LA WALLY“ des italienischen Komponisten Alfredo CATALANI uraufgeführt. Der Oper lag der damals auch in Italien sehr erfolgreiche Roman der Wilhelmine von Hillern unter dem Titel „Die Geierwally“ zugrunde. Die gesamte Oper spielt im Bereich der Gemeinde Sölden im Tiroler Ötztal. Der vierte Akt spielt zur Gänze rund um Similaun und Marzellferner, genau wie KRENEKs „Jonny spielt auf“.

Auf dem „Murzoll“ sitzt die von ihrem Vater verstoßene Wally. Gemäß der Regieanleitung des Komponisten „erstreckte sich das Eismeer, trostlos, unendlich, mit seiner gräulichen Spiegelung und seinen erstarrten Wellen … Der Similaun wurde von einer kleinen Wolke umschmeichelt…“.

Den alten Sagenmotiven aus dem hintersten Ötztal entsprechend, angesiedelt im „Hinteren Eis“ der Gletscherwelt, wohnen im Kristallpalast der Gletscher die „SALIGEN FRÄULEIN“, in der Oper „diese seligen Mädchen“ (übersetzt aus „le fancuille beate“). „Vom eisigen Schneefeld sind es die Feen“ singt die Wally. Und weiter singt sie:

„O Schnee, du weißes Flockenkleid
des Himmels, ich sah dich immer
glänzen, der Berge Gipfel kränzen.
Nun hab den rauhen Steilhang ich erklommen,
zu dir bin ich gekommen.“

Immer wieder tauchen die altartig-archaischen Gestalten auf dem Gletscher auf. Im Wallis ziehen über den Gletscher die Toten-Prozessionen. In den Ötztaler Sagen leben dort neben den SALIGEN auch die „NIEDERJÖCHLER“. Dort wandeln auch in der CATALANI-Oper die Totengestalten:

„Ah ! Da naht sich der Zug der
Trauergestalten. Sie senken schon auf
mich den Todesschleier, sie gaukeln und
schweben um mich im Tanz des Schreckens
und strecken nach mir ihre eisigen Arme.“

Das Ende der WALLY zeichnet sich ab, dramatisch und ohne Happy-End. Nicht wie in der Romanvorlage, sondern im Stil der Operndramaturgie.

Schließlich wird „ihr“ Giuseppe von einer schrecklichen Lawine in die Tiefe gerissen.

Man hört das Krachen der Lawine. Wally schleppt sich an den Rand des Abgrunds, den die Lawine gerissen hat. Sie schaut mit gläsernem Blick hinunter und stößt einen Schrei aus.

Das Finale ist schon vorher angeklungen:

„Schnee Du, Du bist mein bleiches Schicksal.
Sieh mich, ich bin die Braut Giuseppes,
liebende Seele, nimm mich in deine Arme.“

Mit dem letzten Schrei stürzt sie sich in den Abgrund, mit ausgebreiteten Armen. Der Italiener CATALANI hat dieses Geschehen in den Tiroler Bergen spielen lassen. Sehr dramatisch. Sehr romantisch und eindrucksvoll.

Noch einmal in der Opern-Geschichte rückt der Gletscher als dramaturgische Steigerung in das Geschehen. Der 1926 geborene Hans Werner HENZE schrieb die „ELEGIE FÜR JUNGE LIEBENDE“. Das Drama spielt im Jahre 1910 in einem Berggasthaus zu Füssen eines Berges mit Namen Hammerhorn. Das Libretto dazu schrieb der bekannte englische Schriftsteller W.H. AUDEN. Es ist nicht lokalisierbar, wo sich dieses Hammerhorn befindet. Jedenfalls ereignet es sich, daß der „große Dichter Gregor MITTENHOFER“ eine Schar von Bewunderern um sich versammelt und daß Hilda in Trance verfällt und eine Vision hat:

„Ah !
Schnee fällt aufs Blütenmeer,
Felder und Wald
Deckt er schon bald
.
Was wird begraben ?
Unter dem Schnee
Wird, was da kommen soll,
Arges erfahren:
Kalt hängt der Himmel
Schneefall wird lehren
Erdkaltes Weh.
Und den Unsterblichen
Hoch auf dem weißen Altar,
Bringt das sterbliche Herz sich
Nicht böse noch schlicht,
Wie ein Opferlamm dar …“

Schließlich ereignet es sich, daß der Bergführer MAURER aufgeregt die Meldung erstattet,

der Hammerhorn-Gletscher habe die Leiche eines Menschen freigegeben. Es ist der seit 40 Jahren vermißte Gatte Hilda MACKs. Es ist dieselbe Geschichte, von der auch Ernst KRENEK berichtet und die sich auf einen Artikel im Jahrbuch des Alpenvereins bezieht. Dieser Beitrag beruht wiederum auf einer nachgewiesenen Begebenheit. Denn im Jahre 1701 verschwand in einer Gletscherspalte oberhalb von Vent im Tiroler Ötztal ein Mann, den der Gletscher am 22. August 1724 wieder freigab, „mit noch unverletzter Haut, aber wie ein Brett zusammengedrückt“. Das ist im Totenbuch von Vent schriftlich niedergelegt und immer wieder zitiert worden. Offensichtlich kannte auch W.H. AUDEN diese Geschichte. Der 1724 freigegebene Tote wurde jedenfalls, so steht es im Totenbuch von Vent geschrieben, „nach christkatholischem Gebrauche in dem Kirchhof beygesetzet worden“, weil man wußte, „daß er von katholischen Aeltern geboren sey“.

Hilda und Elisabeth singen in der letzten Phase von Szene X der Oper „ELEGIE FÜR JUNGE LIEBENDE“:

„Ich kam hierher, wies gestern war, mein Hochzeitstag.
Ich fühle heute noch den Schlag.
Mein Liebster, er ließ mich allein.
Und er blieb lange aus.
Vierzig Jahr. Vierzig Jahr sind es heut. Die Zeit flieht.
Der Quell bricht auf, der Gletscher zieht,
Entläßt ans Tageslicht den Raub.
Den Liebsten frei.
Und heut, mein Gott, man fand ihn, wo der Gletscher stirbt …“

Diesen drei Opern-Gletschergeschichten wäre noch hinzuzufügen, daß sich in der Gegenwart noch immer und wieder Autoren finden, den Gletscher, die Faszination Eis und Schnee zum Thema zu machen. Doch vorher eine andere „Poesie“ aus naiver Herzenslust: Als am Portiunkulasonntag (= erster Sonntag im August) des Jahres 1859 zum offensichtlich ersten Mal in der katholischen Geschichte der Bischof das 1930m hoch gelegene Bergdorf Obergurgl im hintersten Ötztal besuchte, da hatten die Gurgler einen Empfangsreim parat:

„Kein Herrscher dieser Erde
Zog jemals bei uns ein;
Der Hirte doch die Herde,
läßt nimmermehr allein.
Das arme Volk der Höhe
Ist jenem unbekannt:
Der Hirte klimms ins jähe
und kalte Fernerland.
Drum sei willkommen Hirte
in Gottes Eispalast …“

Und der dichtende Tiroler Heimatforscher und Chronist Christian SCHNELLER veröffentlichte im St. Kassian-Kalender von anno 1893 ein Gedicht über „Die Messe am Steinernen Tisch“, hoch droben am Gurgler Ferner, ein Gedicht über den eisbedeckten Gletschersee, über den kläglichen Bittgang der Ötztaler zur Abwendung von Naturkatastrophen, über die Heilige Messe am „Steinernen Tisch“, von den Schneemassen, „von grüner Wunderherrlichkeit, mit Prachtpalästen, Marmorstraßen …“ Aber es liegen „unterm Eis zerbrochen die Würfel und der Riesen Knochen …“.

Als im Jahre 1818 durch den furchtbaren Ausbruch des Gletschersees im Val de Bagnes im schweizerischen Wallis viele Tote und unermeßliche Sachschäden zu beklagen waren, da erschien auch eine Elegie über den Alpen-Fluß, über den Gletscher, über diese Katastrophe.

Derb-naiv klingt es :

„… In der Ferne erstreckt sich nach allen Seiten
das Bollwerk der Alpen, so imposant:
Der Winter mit den Nebeln aus Eis
auf den steilen Gipfeln
auf ewig die Masse des Eises an sich gebunden
von nassen Flanken ein gefährlicher Strom
stürzend herab in schwarzen Wogen
sich wälzend und wogend über die Felsen
so schauerlich
in tiefen Schluchten …“

Denn am Fuß der stolzen Berge hatte eingestürztes Eis lange Zeit den zischenden Fluß zurückgehalten. Dann brechen die Fluten durch das Tal,

„dort läßt ein Greis sein Leben in seiner bescheidenen Hütte, auf ein sanftes Dahinscheiden hoffend. Die Mutter preßt vergeblich ihr Kind in ihre Arme“.

Ich verabschiede mich aus der Region der kalten Gletscher, aus dem Totenreich, aus der kalten Pein des Gletschers, aus der faszinierenden Welt der Natur-Extreme. Zum ersten Mal. ist es mir also vergönnt, literarisch und poetisch in diese Welt eingedrungen zu sein.

GLETSCHER – MYTHOS –

solange es diese „glacies continua et perpetua“ gibt. Bevor sie abschmelzen oder zerstört, alpinistisch-gewinnbringend vermarktet sind … oder bevor sie sich als Rächer über die blöde Bande der „Zuhälter des ewigen Schnees“ ( Maurice CHAPPAZ) hermachen.

Gletscherbetrachtung zwischen Mythos und Horror. Weltweit nicht anders wie in den Alpen.

dr.hans haid 31.10.2001


Einige Literaturanmerkungen

Einen Großteil der Zitate entnehme ich dem Buch von Kurt WANNER: „Der Himmel schon südlich, die Luft aber frisch. Schriftsteller, Maler, Musiker und ihre Zeit in Graubünden 1800-1950“, Verlag Bündner Monatsblatt, Chur 1993.

Weitere Quellen und Hinweise:

Maurice CHAPPAZ: „Haute route“, Edition Moderne, Zürich, 1984.

Halldor LAXNES: „Am Gletscher“, Steidl, Göttingen, 2. Auflage 1995.

Ernst KRENEK: „Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne“, Hoffmann und Campe, Hamburg, 1998.

Ernst KRENEK: „Jonny spielt auf“, Compact Disc, DECCA, 1993.

Alfredo CATALANI: „La Wally“, Grand Opea, DECCA, 425 417-2.

Hans Werner HENZE: „elegie für junge liebende“, the henze collection, Deutsche Grammophon.