Die Eroberung der Landschaften. Alte und neue Namen der Berge in Afrika

Von David Simo (Yaoundé)

Die endgültige Zeichnung der Landkarte Afrikas erfolgte erst im späten 19. Jahrhundert. Vorangegangen waren Mutmaßungen, Mythen und Versuche der Entdeckung mancher Orte. Seit dem Altertum hatte die Quelle des Nils Phantasien entflammt und mutige Reisen verursacht, die alle ergebnislos blieben.

Das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert der restlosen Aufteilung Afrikas unter den europäischen Mächten. In dieser Phase konnte man sich nicht mehr mit Mutmaßungen begnügen. Genauere Kenntnisse der Flußverläufe, der verschiedenen Ortschaften und der dort wohnenden Menschen waren unerläßlich geworden. Vor allem nachdem in der Kongokonferenz 1884-1885 beschlossen worden war, daß die an der Küste anwesenden Mächte die Effektivität der Besitznahme des Hinterlandes nachweisen mußten. Die Bereisung von Ortschaften und die anschließende Anfertigung einer Landkarte wurde zur wichtigsten Voraussetzung, um Landstriche als Eigentum zu reklamieren. Es war sicherlich kein Zufall, daß das deutsche Reich einen Geographen, nämlich Gustav Nachtigal, als ersten Konsul nach Afrika entsandte und ihn mit dem Erwerb der ersten Schutzgebiete für das Reich beauftragte.

Die Zeichnung der Landkarte Afrikas war also das Werk europäischer Wissenschaftler und Politiker. Sie war eine wissenschaftliche Tat, aber auch zugleich eine politische. Das unbekannte, mysteriöse Afrika sollte ein klares Gesicht bekommen, um aus dem Reich des Mythos in das Licht der Erkenntnis überführt und somit verfügbar gemacht zu werden. Die Zeichnung der Karten war zugleich Mittel, Voraussetzung aber auch Konsequenz der militärischen Eroberung, der politischen Besitznahmen und der ökonomischen Ausbeutung.

Berge kennzeichnen sich dadurch aus, daß sie hoch sind und nicht erst in der Nähe wahrgenommen werden. So waren einige Berge Afrikas schon in Europa bekannt, längst bevor die Länder überhaupt betreten wurden und ihre Darstellung wurde Teil von Geschichtsschreibung und Mythen, die mehr oder weniger weit bekannt wurden.

In seinen berühmten Geschichtsbüchern merkt Herodot zum Beispiel nur beiläufig an, daß die Karthager Afrika umsegelt hätten. Offensichtlich war ihm die griechische Abschrift der Fahrt der Phönizier unter Hanno nicht bekannt. Hanno gelang in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts vor Christus die völlige Umrundung Afrikas nicht, aber er kam offensichtlich bis zur Guinea Bucht, denn er spricht von einem Berg, der sehr wahrscheinlich der Berg ist, der heute Kamerunberg heißt. Diesen Berg nannte er den Wagen Gottes. Sicherlich sah er vom Meer aus eine Masse aus Wolken emporragen und seine Phantasie hielt sie für ein Vehikel Gottes, denn wer sonst konnte so hoch in den Wolken reiten. Oder hat er einen Ausbruch des Vulkans dort erlebt und gedacht, da oben schwebe Jupiter und beschieße unsichtbare Gegner mit Blitzen? Auf jeden Fall konnte der Karthager das Wahrgenommene nur in die Sprache seiner mythischen Weltanschauung übersetzen, die auch der anderer Kulturen entsprach. In dem Stück des indischen Dichters Kalidasa aus dem 5. Jahrhundert nach Christus gibt es eine Szene, die sicherlich auch in der Vorstellungswelt der Karthager existierte. Dort reitet der König Duschmanta in einem Wagen über den Wolken zum Sitz der Göttin Arditi.

Der griechische Philosoph und Geograph Ptolemäus beschreibt seinerseits im 2. Jahrhundert vor Christus einen Berg in Afrika, den er „Berg des Mondes“ nennt und der der heutige Berg Rwenzori ist. Auch er rekurriert auf eine metaphorische Beschreibung einer Wirklichkeit, von deren Kunde er gehört hatte, aber die von denjenigen, die davon sprachen, nur von weit weg im indischen Ozean beobachtet werden konnte. Von dieser Perspektive aus konnte der vom Schnee bedeckte Margherita Peak (so heißt heute der Höchste Punkt des Rwenzori) durchaus als ein Felsen, der aus dem Mond, nicht aus der Erde herausragt, wahrgenommen werden.

Die heute so poetisch klingenden Namen afrikanischer Berge aus der griechischen und phönizischen Antike waren damals durchaus als realistische Bezeichnungen einer realen Wirklichkeit zu verstehen. Auch der portugiesische Seefahrer Fernando Po’o, der 1472 den Kamerunberg „entdeckte“ und einen Vulkanausbruch erlebte, taufte ihn „Sitz der Götter“, so beeindruckt war er.

Die späteren Geographen, vor allem diejenigen, die die Karte Afrikas im 19. Jahrhundert zeichneten, gingen bei ihren Benennungen ganz anders vor. Genauso wie bei der Benennung anderer Ortschaften überwogen vier Methoden:

1. Die erste Methode bestand darin, die Berge – vor allem die höchsten Berge – nach den durch die Kolonialherren geschaffenen Staaten zu benennen. So wurde der höchste Berg Kameruns der Kamerunberg, wobei interessant ist, dabei anzumerken, daß manche dieser Länder einen abenteuerlichen Namen bekommen hatten. So zum Beispiel die Bezeichnung Kamerun.

Der portugiesische Seefahrer, von dem wir schon sprachen; hatte 1472 die Guinea Buch besucht and war tief bis zur Mündung des Flusses Wuri vorgedrungen. Dort fand er viele Krabben und nannte ihn „rio dos cameroes“ – Krabbenfluß. Als die Engländer im 19. Jahrhundert kamen, hörten sie von der Bevölkerung eine Bezeichnung, die sich aus der Portugiesischen tradiert hatte und die natürlich nicht mehr richtig ausgesprochen wurde. Das, was sie hörten, fixierten sie in den Schutzverträgen als Cameroon. Die Deutschen, die kurz danach Schutzverträge mit den Küsten-Machthabern schlossen und sich als rechtmäßige Herren der Landstiche betrachteten, verdeutschten die Bezeichnung Cameroon in Kamerun. Mit diesem Namen wurde die Stadt Duala bezeichnet. Als das Hinterland erobert wurde, wollte man sich keine Mühe geben und dehnte die Bezeichnung Kamerun von der kleinen Stadt auf das ganze Schutzgebiet aus. Hier zeigte man sich genauso phantasielos wie an der westafrikanischen Küste, wo Länder einfach Gold Coast, Côte d`Ivoire etc. genannt wurden. Der Name des Landes ergab dann den Namen des Berges, der seitdem als Kamerunberg verzeichnet ist, auch wenn er ab und zu anders genannt wird. Aber dazu später.

 

2. Die zweite Methode bestand darin, die einheimische Bevölkerung nach ihrer eigenen Bezeichnung des Berges zu befragen und dies führte sehr oft zu großen Mißverständnissen. Die fragenden Beamten oder Wissenschaftler verstanden in der Regel die lokale Sprache nicht und waren auf die Dienste der Dolmetscher angewiesen. Diese Dolmetscher, die selber die europäische Sprache der Fragenden, sowie nicht selten die lokalen Sprachen nur sehr mangelhaft beherrschten, übersetzten sehr oft sowohl die Fragen als auch die Antworten falsch, was zu abenteuerlichen Bezeichnungen führte. Vielleicht rührt die Bezeichnung Kilimandjaro aus einem solchen Mißverständnis. In Kiswahili, der am meisten gesprochenen Sprache in Ostafrika, bedeutet Mlima Hügel mit dem Plural Milima. Kilima bedeutet dann kleiner Hügel und Njaro ist der Name eines Ortes. Auf welche Frage haben die Einheimischen wohl geantwortet, als sie das Wort kilimandjaro aussprachen, das dann als Name des Berges verstanden wurde? Auf jeden Fall trägt so der größte Berg Afrikas, der größte Berg am Äquator überhaupt, den Namen Kleiner Hügel von Njaro.

Bei dem Namen Rwenzou, der in Kinirwanda (gesprochen in Rwanda) und in Rutara (gesprochen in Uganda) „sehr hoch“ bedeutet, hat sicherlich die Bevölkerung gedacht, daß sie aufgefordert wurde, den Berg zu beschreiben. So wurde ein Adverb und ein Eigenschaftswort zum Namen des drittgrößten Berges Afrikas, der an den Grenzen von Rwanda, Kongo und Uganda emporragt und somit keinem dieser Staaten zugerechnet werden konnte.

Bei dem Berg Massaba, ist sicherlich auch auf eine ähnliche Frage geantwortet worden, auch wenn wahrscheinlich eine ganz andere gestellt worden ist. Massaba heißt in Gishu, eine der Sprachen Ugandas, „riesig“ und der Berg ist tatsächlich riesig.

 

3. Die dritte Methode bestand darin, dem Berg einfach den Namen des Europäer zu geben, der ihn angeblich als erster entdeckt hatte. So heißt Massaba auch Mount Elgon und Rwenzori Mount Stanley. Aber auch die Freundinnen, die Ehefrauen u.s.w. wurden nicht vergessen. Daher der Name Margherita für den höchsten Punkt des Rwenzori-Berges. Auch die Muttergottes bekam ihren Berg, wenn auch nur einen ganz Kleinen in Kamerun, wo eine Ortschaft bis heute Marienberg heißt. Interessanterweise wurden aber nur wenige bekannte Berge nach einem Herrscher oder nach einer Herrscherin benannt. Kein Berg heißt Victoria Berg oder Bismarckberg. Dafür wurden aber Seen, Städte u.s.w. nach Herrschern benannt. Warum wollten sich so wenige Herrscher mit einem Berg identifizieren lassen? Dabei wäre der Berg von seiner Symbolik her das richtige Objekt der Identifikation gewesen. Oder fand ihre Majestät Victoria einen Berg zu phallisch und meinte, dass ein See ihr eher entsprechen würde?

 

4. Die vierte Methode bestand darin, die Berge nach ihrer Form zu benennen. Vor allem in Südafrika finden sich solche Benennungen: Tafelberg, Drachenberg.

 

Nach der Unabhängigkeit wurden die Namen, die an europäische Reisende erinnerten, weitgehend abgeschafft, auch wenn diese Namen nicht ganz aus der Literatur und den Karten verschwanden. Rwenzori heißt auf viele Karten immer noch Mt. Stanley und Massaba wird immer noch Mt. Elgon genannt. Die mit afrikanischen Namen benannten Berge behielten meistens ihren Namen, die heute als lokale Bezeichnungen betrachtet werden, auch wenn sie, wie ich angedeutet habe, sehr wahrscheinlich in einer kolonialen Situation entstanden und Produkt eines Mißverständnisses sind.

Andere Bezeichnungen wurden auch neu erfunden, wie Fako Mountain, ein anderer Namen des Kamerunberges, der als lokale Bezeichnung betrachtet wird. Im Grunde bezeichnet Fako die Gruppe der Menschen, die am Berghang leben. Ich bezweifle, daß diese Menschen selber den Berg so bezeichnet haben. Die Bezeichnung ist sicherlich das Werk von Kamerunischen Geographen ebenso wie die Bezeichnung Mandaraberg. Die Bezeichnung Uhuru für einen der höchsten Punkte des Kilimandjaro ist natürlich eine politische Bezeichnung, da Uhuru in Kikuyu Unabhängigkeit bedeutet. Der Ort hat sicherlich seinen Namen nach der Unanhängigkeit erhalten.

Abschließend stellt sich die Frage: Haben denn die afrikanischen Berge keinen ursprünglichen Namen? Schwer zu sagen. Manche Berge hatten nachweislich keinen Namen. In vielen Fällen hatten die Menschen offensichtlich keine spezifische Benennung für Ortschaften und speziell für Berge oder sie nannten sie einfach Berg. Außerdem gibt es von der Nähe betrachtet – vom Berghang aus gesehen – keine Berge. Als Masseneinheit sind Berge nur von einer gewissen Ferne her erlebbar.

Es sind die Geographen und Politiker mit ihrem Drang nach Benennung, Unterscheidung, Besitznahme, die die systematische Benennungsmanie eingeführt haben.