Das kulturelle Erbe Georgiens und der Tourismus

von Vasha Tschintscharauli (Caucasus Highland Center, Tbilisi)

Wenn man heute die kulturelle, soziale und wirtschaftliche Lage Georgiens betrachtet, wird schnell klar, daß das Potential und die Ressourcen unseres Landes noch nicht vernünftig genutzt werden. Dies rührt unter anderem aus den gegenwärtigen politischen Verhältnissen, aus der unstabilen wirtschaftlichen Lage und der mangelnden Koordination und Organisation der verschiedenen beteiligten Behörden.

Theoretisch wäre es daher sinnvoll und möglich, viele Ressourcen unseres Landes besser nutzbar zu machen. Hier nun möchte ich an einem kleinen Beispiel eine Gegend Georgiens mit seinen charakteristischen kulturellen und wirtschaftlichen Eigenheiten und seinen zukünftigen Tourismusmöglichkeiten vorstellen.

Chewsuretien befindet sich im nördlichsten Teil Ostgeorgiens in der Nachbarschaft der Regionen Pshawi, Chewi und Tuschetien, und hat eine einmalig reiche und exotische Natur, lange Traditionen und ein großartiges kulturelles Erbe: Die Kultur der Chewsuren.

Die kulturelle Eigenständigkeit der Chewsuren rührt von verschiedenen Ursachen her, einerseits aus seiner strategischen Lage am nördlichen Hauptkamm des Großen Kaukasus und andererseits aus den spezifischen und zum Teil komplizierten Beziehungen zu seinen Nachbarvölkern und Regionen.

Traditionell mußte die chewsuretische Bevölkerung das Staatsgebiet Georgiens gegen Norden verteidigen und schützen und andererseits an vielen militärischen Maßnahmen der georgischen Könige außerhalb ihres eigenen Territoriums teilnehmen. Außerdem mußte Chewsuretien nicht nur gegen innere Feinde kämpfen, sondern auch gegen georgische Fürsten, die in dieser Region Einfluß gewinnen wollten. Dies ist ein Hauptgrund für die vielen Festungsstädte, unvergleichliche architektonische Komplexe, auf chewsurischem Gebiet.

Die wichtigsten sind Schatili, Muzo, Ardoti, Chachabo, Kistani und Guro. Diese Festungen dienten sowohl zum Schutz gegen Feinde, als auch als gewöhnliche Wohnstätten mit ihrer eigenen Infrastruktur für das Familienleben der Chewsuren.

Etwas anschaulicher möchte ich die ethnokulturellen Nuancen und das architektonischen Erbe am Beispiel von Schatili darstellen.

Der komplexe architektonische Bau der Festung Schatili stammt anhand konkreter historischer Quellen aus dem Mittelalter. Im Laufe der Zeit erfuhr dieser Komplex verschiedenste funktionale und strukturelle Änderungen und wurde ab Ende der 50er Jahre des 20.Jahrhunderts wegen der gewaltsamen Umsiedlung seiner Bewohner durch die Kommunisten nicht mehr bewohnt. Der Komplex der Festung Schatili verwahrloste in den folgenden Jahren.

Die Festung Schatili hat eine seltene strukturelle architektonische Organisation, die perfekt auf seine natürliche bergige Umgebung abgestimmt ist. Die Hauser innerhalb der Festung haben 2 bis 5 Stockwerke. Innerhalb des Komplexes gibt es neben Wohnhäusern auch Nutzbauten mit landwirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Funktion. An den Fassaden der Gebäude sind verschiedene chewsurische Symbole und mythische Elemente dargestellt, worüber man einen eigenen Vortrag halten könnte.

Der Grundriß der Festung Schatili hat eine dreieckige Form, auf der es insgesamt 54 Festungsbauten gibt. Die Mitte des Dorfes teilt eine enge Straße, die sogenannte „Schara“, über die man zu jeder Festung gelangen kann.

Die Bevölkerungszahl betrug im Höchstfall um die 60 bis 70 Familien. Der häufigste Familienname der Bewohner war „Tschintscharauli“.

In den 70er Jahren gab es mit Duldung des kommunistischen Regimes Versuche die mittlerweile verfallenen Festungen Schatilis zu restaurieren.

Leider richtete sich das Hauptaugenmerk auf die Fassaden und und nicht auf die Grundsubstanz der Gebäude und deshalb konnten diese Maßnahmen den weiteren Verfall der Stadt nur geringfügig aufhalten.

In den Jahren 1999 bis 2002 wurde mit Unterstützung der Weltbank ein Fond zur Rettung Schatilis gegründet, durch den mit Hilfe staatlicher Strukturen und der einheimischen Bevölkerung eine gründliche Restaurierung gelingen konnte. Nun wurden auch Mauern und Dächer von Fachleuten restauriert und konserviert.

Einige Festungen werden nun wieder als Wohnbauten genutzt, zukünftig sind auch Nutzungen als Museumsbauten und Hotels geplant. Mittlerweile hat die Festung auch eine Stromversorgung, Wasserleitungen und eine Kanalisation. Ein anderes Projekt verwirklicht die Reparatur eines kleinen Wasserkraftwerkes.

Für die langfristige Entwicklung von Schatili und seiner Region wurde eine neue Konzeption entwickelt, die hauptsächlich auf die Entwicklung des Tourismus zielt.

Mit den von mir beschriebenen Maßnahmen wurden gute Voraussetzungen zum Leben und zur Erholung in Schatili geschaffen, obwohl weitere staatliche und private Anstrengungen für die Erhaltung anderer kulturell und touristisch wertvoller Objekte und Landschaften Chewsuretiens unbedingt notwendig sind.