Georgisch als Zielsprache im Vergleich zum Deutschen als Ausgangssprache

von Dali Pandshikidze (Staatliche Ivane Dshawachischwili Universität Tbilissi)

Man hat es bei der Übersetzung mit zwei Texten, bzw. Redeerzeugnissen zu tun, von denen der eine die Ausgangsbasis bildet und unabhängig vom zweiten erzeugt wird, während der zweite auf der Grundlage des ersten durch zwischensprachliche Transformationen produziert werden kann. Den ersten Text nennt man Originaltext, den zweiten Übersetzungstext. Die Sprache, in der der Originaltext geschrieben wurde, nennt man die Ausgangssprache – AS, die Sprache, in die übersetzt wird, wird die Zielsprache – ZS genannt.

Die Übersetzungstheorie hat mit dem traditionellen komparativen Vergleich der Sprachen nichts zu tun. Hier geht es um linguo-stilistische Charakteristik der AS und ZS, auf der der Vergleich der allgemeinstilistischen Sprachgebilde beruht. Demzufolge setzt man sich zum Ziel aus den beiden Sprachen nur jene sprachlichen Einheiten und Strukturen auszusondern, die die wichtigste Rolle bei der Bildung des obengenannten Sprachgebildes spielen.

Die deutsche und die georgische Sprache unterscheiden sich voneinander sowohl durch den grammatischen Bau als auch durch innere Sprachform der Lexik. Die deutsche Sprache gehört zu den analytisch-flexiktierenden Sprachtypen, die georgische Sprache aber wird als flexiktierend-agglutinierende Sprache bezeichnet, aber diese Tatsache kann nicht zum Hindernis bei der Übersetzung werden. Die Übersetzung hat es nicht mit den Sprachen als Systemen zu tun, sondern mit konkreten Texten, in denen eine vielfältige Verflechtung und Wechselwirkung verschiedenartiger bedeutungstragender sprachlicher Mittel in ihrer Gesamtheit eine semantische Information vermitteln. Die semantische Information, bzw. die Inhaltsebene eines Textes kann ohne die Ausdrucksebene nicht existieren. Das Endprodukt des Übersetzungsprozesses entsteht also durch die Einheit der Inhalts – sowie der Ausdrucksebene, die auf der Basis der Zielsprache beruht, deren unverletzt beibehaltene allgemeinstilistische Sprachformung zur Qualität des Endproduktes viel beitragen soll.

Das von uns erwähnte allgemeinstilistische Sprachgebilde ist mit sprachlicher Interferenz eng verbunden, die ihrerseits zwei Aspekte hat. Erstens zwingt sie einen Übersetzer in die ZS die für sie nicht charakteristischen Sprachformen einzutragen und dadurch ihr Gebilde zu verletzen und zweitens die für sie charakteristischen Formen zu vergessen, die für deren allgemeinstilistische Sprachgebilde von großer Bedeutung sind. Dabei sind konvergente und divergente Formen sowohl auf der grammatischen als auch auf der stilistischen Ebene zu unterscheiden.

Zum Obengesagten können einige Erklärungen beitragen: Zum Ausdruck der Vergangenheit hat die AS drei Zeitformen, in der ZS aber sind es acht, von denen keine als Äquivalent für eine bestimmte Zeitform im Deutschen bezeichnet werden kann. Die Wahl der georgischen Zeitformen hängt von der Situation, von dem Kontext und sogar von dem Rhythmus eines Textes ab. So können dem Perfekt oder dem Präteritum je nach ihren stilistischen Funktion 4 Zeitformen der ZS entsprechen. Daher die Schlußfolgerung, daß in der Kategorie der Zeit über stilistische Divergenz gesprochen werden kann, deren Vernachlässigung zur Verletzung des Sprachgebildes der ZS führen könnte.

Es muß auch in Betracht gezogen werden, dass bei der Formierung des allgemeinstilistischen Sprachgebildes die hohe Frequenz einiger sprachlicher Formen und Strukturen eine bedeutende Rolle spielt. In einem kurzen Vortrag können jedoch nicht alle oben gemeinten Formen behandelt werden, darum beschränken wir uns auf den Bereich des Verbs und seiner Beziehungen zu anderen Redeteilen. Diese Wahl ist auch dadurch bedingt, dass das allgemeinstilistische Sprachgebilde nach der Klassifikation von Charles Bally durch die Frequenz der verbalen, finiten oder infiniten Formen bestimmt wird, dabei bedingt die hohe Frequenz der finiten Formen die Dynamik einer Sprache.

Auf Grund dieser Zusammensetzung erscheint die georgische Sprache (ZS) viel dynamischer als das Deutsche (AS), da die georgische Sprache finite Formen des Verbs bevorzugt auch in den Fällen, wo das Deutsche substantivische Strukturen benutzt hätte. Bzw. im Georgischen überwiegen okkasionelle verbale Neubildungen, ähnlich wie die folgenden deutschen Neubildungen: stolzieren, ernsten, pantoffeln, oder die von Schiller: „tigert er auf dich hinaus, tatz ihn: wie die Katze die Maus.“ u.ä. aber es muß noch einmal betont werden, daß die hohe Frequenz solcher Bildungen im Georgischen fast als Norm empfunden wird und die Vernachlässigung dieser Erscheinung bei der Übersetzung zur Verletzung des allgemeinstilistischen Sprachgebildes führen könnte.

Das Obengesagte kann durch zahlreiche Beispiele belegt werden, aber wir versuchen an einem Beispiel den Mechanismus der georgischen Verbalisierung klar zu machen. In einer finiten Form „[dro]gweuaressa“ ist eingeschlossen: [die Zeit] erschien uns schlechter als je“

Die stilistische Divergenz in den aus dem Deutschen übersetzten Texten zeigt sich auch in der großen Zahl der Pronomina, bzw. bei der Übertragung aller Arten der Pronomina, die im Deutschen für den Ausdruck der grammatischen Beziehungen nötig sind, im Georgischen aber überflüssig erscheinen, da im Georgischen dank der Flexion nur eine minimale Zahl von Pronomina stilistisch berechtigt ist.

Wir haben schon als Beispiel der stilistischen Divergenz der deutschen und georgischen Sprache das Zeitsystem behandelt, hier wäre noch einmal zu betonen, dass die stilistische Divergenz im Bereich des Verbs vor allem auf der unterschiedlichen Frequenz der finiten Formen des Verbs, auf den Diskrepanzen im System der Zeitformen und auf der Existenz der unterschiedlichen Kategorien im Georgischen beruht.

Als Beispiel dazu könnten die Kategorien der Aktionsart und die der Version dienen, von denen die erste zum Bereich des Zeitsystems gehört und zur Mehrzahl der georgischen Zeitformen beiträgt, die zweite aber mit der Polipersonalität des georgischen Verbes verbunden ist und der Einsparung der Pronomina dient. Der Inhalt der Version, bzw. die Information für wen die Handlung vollgezogen, oder auf wen sie bezogen ist, wird im Deutschen analytisch ausgedrückt, für die georgische Sprache ist aber deren flexierte Form kennzeichnend. Bei der Vernachlässigung dieser Tatsache entstehen im georgischen Text Pronomina, die in stilistischer Hinsicht überflüssig sind.

Die Tatsachen der stilistischen Divergenz vermehren sich in der Kategorie des Modus, nämlich im Konjuktiv, dessen stilistische Funktionen sich mit denen des Georgischen nicht decken.

Neben den ähnlichen Funktionen, die bei der Übersetzung aus dem Deutschen keine Schwierigkeiten bilden, existieren im Georgischen Wechselbeziehungen, in denen der Konjuktiv stilistisch berechtigt ist. Das betrifft die Verbindungen von zwei Verben, von denen das zweite meistens im Konjuktiv steht, dabei wechselt das in den Konjuktiv gestellte finite Verb in andere Zeitformen. Es ist zu betonen, daß die sprachliche Interferenz in solchen Fällen besonders stark wirkt und zur Verletzung des allgemeinstilistischen Sprachgebildes des Georgischen beiträgt.

Die stilistische Divergenz zeigt sich auch im Bereich der Modalität, wo die georgische Sprache neben den konvergenten Ausdrucksformen viele divergente Formen, sogar Kategorien an den Tag legt. Diese Kategorien sind die der Zufälligkeit, der Scheinbarkeit, der Unwillkürlichkeit, der Stimmung, dazu der komplexe Ausdruck der Modalität, die kein Äquivalent im Deutschen hat und sehr leicht zu sprachlichen Interferenz führen kann. Wir versuchen ein Beispiel dazu zu beschreiben, um obenerwähnte Erscheinung möglichst vorstellbar zu machen. In einen finiten Form „schemoakwda“ ist ausgedrückt: er wollte ihn nicht töten, aber es geschah unwillkürlich.

Der nächste Schwerpunkt wären Passivkonstruktionen, die dem allgemeinstilistischen Sprachgebilde der deutschen Sprache eigen sind, aber deren Frequenz im Georgischen viel geringer erscheint. Diese Tatsache schafft eine weitere Voraussetzung für die Interferenz, die ihrerseits zur Verletzung des Sprachgebildes der ZS führt.

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Um das Obengesagte zusammenzufassen, darf gesagt werden: das allgemeinstilistische Sprachgebilde der georgischen Sprache (ZS) bildet die geringe Frequenz der Pronomina und der Passivkonstruktionen, die hohe Frequenz der finiten Verbformen, der flexible Ausdruck der Modalität, die hohe Frequenz der okkasionellen Neubildungen.

Für das allgemeinstilistische Sprachgebilde des Deutschen (AS) sind charakteristisch: die hohe Frequenz der Pronomina, der Passivkonstruktionen, der analytische Ausdruck der Modalität usw. Das alles stellt die Triebkraft der Interferenz, ohne deren Neutralisierung das allgemeinstilistische Sprachgebilde des Georgischen verletzt werden kann. Wenn das der Fall ist, bildet sich keine Basis, worauf das stilistische System des zu übersetzenden Textes beruhen könnte.