Religiöse Strömungen im Pankissital

von  (Forschungszentrum für Kaukasiologie, Signagi)

Religiöse Strömungen im Pankissital

Das Pankissital liegt am Oberlauf des Flusses Alasani, im Kaukasus. Die Länge des Tals beträgt etwa 34 km, vom Berg Borbalo bis zur Ebene Alasani. Es ist von den südlichen Ausläufern des Hauptgebirges Kaukasus – den Pankissi und Didgwerd-Nakherala-Gebirgen – umgeben.

Von den religiösen Anschauungen der ältesten Bevölkerung des Tals können wir uns durch die Grabkammern der Bronzezeit ein Bild machen; dort sind Artefakte entdeckt worden, die von der Fürsorge der Familienangehörigen des Begrabenen fürs Jenseits zeugen. Wie es scheint, glaubten sie an das Jenseits, und zwar, daß man dort ähnliches Leben führe, wie in diesem Leben.1

Im Pankissital gibt es viele Denkmäler der christlichen Kultur aus frühfeudaler Zeit (V-X Jh). Wir sind der Meinung, daß dort die Heilige Nino das Christentum verbreitet hat. Nach dem Werk „Das Leben von Nino“ ist es nicht ausgeschlossen, daß die Heilige nach der Bekehrung von Shinwan-Zoben und Erzo-Thianeti durch das Jito-Tal nach Pankissi gekommen wäre, um dort das Christentum zu verbreiten.

Einen großen Beitrag zur Festigung der Christentums in Pankissi und der Umgebung hat der assyrische Vater, Anton von Martkophi geleistet, der im 6. Jahrhundert wirkte. Angaben über Antons Wirken sind der Ghmrthaeba-Urkunde von Imam Khuli Chani2 aus dem Jahr 1722 zu entnehmen.

Im Mittelalter gehörte das Pankissital zur Diözese Alawerdi. Im Archiv des Forschungsinstituts für Manuskripte Georgiens wird ein interessantes Dokument aufbewahrt, nach dem die diesseits des Flusses Alasani wohnenden Pankisser dem Amba von Alawerdi und Nikolos Andronikaschwili versprochen haben sollen, „die Übergangsregelungen des Glaubens“ nicht zu begehen. Das ist eine Art Versprechensbrief; die Pankisser sollten beim Fasten die festgelegten Regeln befolgen. Das Dokument wird auf die 2. Hälfte des 17. Jhs. datiert.3

Im Pankissital sind über 60 Denkmäler des Christentums bekannt. 18 davon zählen zum frühen Mittelalter, 11 zum Hochmittelalter und 29 zum späten Mittelalter. Das sind Klöster, Festungen, Verteidigungstürme, Kirchen, Keller u.a.4

Infolge häufiger Überfälle der Feodalen aus Dagestan begann seit den 30er Jahren die Migration der Bevölkerung aus dem Pankissi. Viele sind ausgestorben, viele ausgewandert. So pflegen die Ansiedler des Dorfes Zizkanaanthseri (Kwarelibezirk) bis heute nach Pankissi, zur Kirche des Heiligen Georgs in Belthagori zu pilgern.

Den Materialien der Volkszählung im 1.Viertel des 18.Jhs ist zu entnehmen, daß bis zum endgültigen Aufbruch der Pankisser im Tal über 100 Leibeigene gelebt haben sollen, und alle waren Georgier. Unter ihnen sind auch inzwischen ausgewanderte und erloschene Familien verzeichnet. Im Tal lebten Geistliche -Giorgi Chuzessi von Chalazni und Vater Giorgi von Khorethi. Zu dieser Zeit lebten in Pankissi auch ein paar Leibeigene aus dem Bergland, die ihre persönliche Freiheit behielten, Kreuz-Ikonen-Gemeinden bildeten und sie zu ihren Schutzherren erklärten. In den Volkszählungsprotokolen werden solche Familien als „Diener der Gebetstätte“ erwähnt.5

Seit dieser Zeit wurde in Pankissi im Laufe des ganzen Jahrhunderts auf keinem Herd Feuer angemacht, die ehemaligen Höfe verwahrlosten und wurden zu Verstecken für wilde Tiere.

Seit den 30er bis zu den 50er Jahren des 19. Jhs. wird Pankissi von Khisten und Phschawen bewohnt, noch später aber von Ossetiern. Diese, als Bergleute, haben die für Bergland charakteristischen Lebensverhältnisse nach Pankissi mitgebracht: ihre Sprache, Bräuche, ihren Glauben. Auch voneinander haben sie vieles übernommen.

Als Ansiedler von Pankissi haben die Khistken aus Dshokolo und Omalo den christlichen Glauben angenommen. Wie es sich herausgestellt hat, hatten sie noch im gebirgigen Tschetschenien, wo sie bis dahin hausten, die christlichen Traditionen gepflegt. Die Duisser Khisten aber kamen nach Pankissi als treue Anhänger des Islams.

Das Zaristische Rußland schenkte der Festigung des Christentums im Pankissi-Tal große Aufmerksamkeit. Auf Initiative der Gesellschaft für das Wiederaufblühen des Christentums in Kaukasien wurde 1888 in Dshokolo eine Kapellenkirche der Mutter Gottes errichtet, und eine Gemeindeschule gegründet. Die Toten wurden nach christlicher Sitte begraben.

Die Khisten aus Dshobolo und Omalo haben bis vor kurzem Ostern gefeiert. Die Bewohner des Dorfs Dshokolo pflegten mit Mundbrötchen, Kerzen und Schlachtvieh zu Ostern zur Gebetsstätte des Heiligen Georg in Belthagori zu ziehen, den Fomassonntag aber feierten sie in der Kirche der Muttergottes. Sie beteten auch an der christlichen Nische in Tschobio.

Die in Omalo niedergelassenen Khisten halten in der Nähe des Dorfes Nischen des Heiligen Georg, Thuscholo und Kopala zum Beten. Thuscholo soll nach der Meinung der Forscher dasselbe bedeuten wie Muttergottes.

In den chrislichen Gebetsstätten von Pankissi begrüßen und segnen sich die Khisten so, wie die Bergleute aus Ostgeorgien:

– Gnade Gottes! („Cham chilbaseh“)

– eine Gnade sei mit Euch! („Daal cham Bualbasch“)

Christlicher Glaube und christliche Vorstellungen haben sich auch in der Folklore der pankisser Khisten widerspiegelt. In khistischen Sprüchen, sowie in georgischen, wird die Muttergottes für die Kranken angefleht:

„Herzchen, leg dich ins Herzensbett,

Niemand tut dir was an,

Gott wird dir helfen,

Muttergottes wird dir helfen!“

(Vorsagerin Sanua Margoschwili, 78 Jahre alt, Duissi, 2003).

Die Khisten feiern auch in Alawerdi und beim Heiligen Georg.

Mit dem Eintritt der Flüchtlinge aus Tschetschenien wurden die christlichen Traditionen unter den pankisser Khisten fast völlig ausgerottet.

Die pankisser Phschaven nomadisierten seit jeher im Obertal, am Fuß der Berge und haben sie sich in den Niederdörfern erst später niedergelassen. Sie haben die Gemeindetraditionen bis heute bewahrt. Die pankisser Phschawen beten diejenigen Kreuz-Ikonen an, unter deren Schutz sie in der patriarchalischen Gemeinde in Phschawischewi gelebt hatten. Sie wandern auch jetzt im Sommer zu religiösen Festen nach Phschawi, um dort bei ihrer Gebetsstätte anzubeten, als deren Diener sie gelten.

Phschawen, Ossetier und Khisten fanden im Pankissital zerstörte und vernichtete christliche Gebetsstätten vor. Sie halten diese Denkmäler für Heilige Stätten, fällen dort keine Bäume; sie pilgern zu christlichen Festen zu diesen Stätten und bringen Opfer dar, zünden Kerzen an, und brechen Mundbrötchen. Einen bedeutenden Anteil am Ritual haben die Bergtraditionen. Zwar hat sich in ihrem religiösen Leben nach der Niederlassung in Pankissi vieles geändert. So dürfen die Weiber in Phschawi sich der Gebetsstätte nicht nähern. In Pankissi dürfen sie sich aber bis zu 4-5 Meter nähern. Der Chewisberi (der Älteste) preist auch hier Kreuz-Ikonen, aber der traditionelle kanonische Kultustext ist verändert. Einen großen Anteil an Gebetsworte und Anrufungen, die vom pankisser Chewisberi gesprochen werden, enthalten Sätze und Ausdrücke, die ihrer eigenen Phantasie entsprungen sind.

Die religiösen Rituale der pankisser Ansiedler stützen sich nicht auf Glaubenstraditionen der früheren Bewohner des Tals. Die Erbschaft ist aufgehoben und der Faden der Tradition zerrissen. Im Mittelalter soll der religiöse Glaube der Pankisser die orthodoxe Rechtsgläubigkeit gewesen sein. Die Migranten sollen den im Mittelalter gebauten örtlichen Gebetsstätten die vom Bergland mitgebrachten Namen gegeben haben und begehen heutzutage den Gottesdienst nach ihrem eigenen traditionellen Glauben und Vorstellungen.

Die pankisser Ossetier haben an Stellen von ruinierten und verlassenen christlichen Kirchen die vom früheren Wohnort mitgebrachter Gebetsnischen gegründet und sie nach ihren früheren Dörfern benannt, wie z.B. Gubhta, Kastawi, S/chlebi, Bilurtha, Margo u.a. Die Ossetier bringen Opfer dar, zünden Kerzen an, backen die s.g. Chabisginen (Kartoffelfladen), brauen Bier und beten: „Guphtashwar (Guphta-Kreuz), Bachuswjenklar, hilf uns. Margosshwar, Andar, Guphtasshwar, Bachoskhan, Chus Kanagni Nu“.

Ossetier beten auch Wstirdshi an.

Wir sehen, daß sich die christlicher religiösen Volkstraditionen der in Pankissi lebenden Khisten, Ossetier und Phschawen sehr ähneln, was auf ihre Nachbarschaft und gegenseitigen Einfluß zurückzuführen ist. Zwar sind die ossetischen, phschawischen und khistischen Dörfer im Tal ähnlich den griechischen Polis gelegen, aber die gemeinsame wirtschaftliche Arbeit und der Prozeß der kulturellen Entwicklung ließen diese Völker sich integrieren.

Ende des 20. Jh. wurde im Pankissital durch den Bruch der religiösen Richtungen und Vorstellungen geprägt.

In phschawischen Dörfern lassen sich schon Zeugen Jehovas, Baptisten, und Fünfziger sehen, obwohl ihre Zahl noch gering ist.

Im von Ossetiern bewohnten Dorf Khorethi gibt es viele Anhänger „der Neuen katholischen Apostelkirche.“ Dieser Glaube stammt aus Europa und die Gruppen seiner Anhänger bildeten sich als Gemeinde in England, Deutschland, in der Schweiz u. a. Sie haben in 190 Ländern der Welt 60 000 Gemeinden, in denen über 9 Millionen Gottesdiener vereinigt sind.6

Vom Orthodoxen Christentum unterscheiden sie sich wesentlich: sie verzichten auf Fresken und Heiligenbilder in den Kirchen. Die Kultusdiener tragen spezielle Gewänder; sie sollen nicht in geistlichen Lehranstalten ausgebildet worden sein. Die Gläubigen werden getauft, aber sie haben keine Paten, sie zünden keine Kerzen an, bekreuzigen sich nicht u. a.

Die deutschen Missionäre der „Neuen katholischen Apostelkirche“ erschienen in Khorethi vor fünf Jahren. Bald danach schlossen sich die Bewohner von Khorethi in der Gemeinde der „Neuen Katholischen Kirche“ zusammen. Die deutschen Missionare haben von der Bezirksleitung das Gebäude des Dorfgeschäfts gekauft, es umgebaut, eingerichtet und Freitags wird dort Gottesdienst gefeiert, zu dem aus Tbilissi und Deutschland speziell entsandte Persönlichkeiten kommen. Von den örtlichen Mitgliedern wurden Diakone gewählt7

Die Bewohner von Khorethi bekommen von den Deutschen humanitäre Hilfe. Sie helfen auch bei der Einrichtung des Dorfes.

In den letzten Zeiten hat sich im Leben des Khistischen Volks vieles ereignet. Wie schon erwähnt, spielte der christliche Glaube im religiösen Leben von Khisten seit der Niederlassung in Pankissi eine bedeutende Rolle. Der beträchtliche Teil der Khisten ist getauft worden. „Sogar die ungetauften Khisten versuchten sich zu ‚vergeorgischen‘:

Sie lernten auf Georgisch lesen und schreiben, beteten georgische Gebetstätten an; sie sagten, Alawerdie, der Weiße Giorgi und Didbatoni (Großherr) erlaubten ihnen nicht, Pferdefleisch zu essen“.8

1921 haben die Kommunisten den Dom der Muttergottes in Dshokolo geschlossen und den Pfarrer verjagt. Seitdem hat sich unter den Khisten in Pankissi unter Einfluß von Duissi die mohammedanische Religion durchgesetzt.

Der sunnitische Islam, der sich der örtlichen Kultur und Volkstraditionen gut angepaßt hat, hat unter den Khisten zu zwei Sonderformen geführt: den Khunt Hadshis und den Is Efendis Anhängern.

Der Unterschied zwischen ihnen war gering. Sie priesen Allah, Muhammed und Propheten, sangen Nasmen und hielten sich an die Dsierathen. Den relgiösen Dienst erfüllten die ältesten Khisten, die an der georgischen Kultur teil hatten und sich nach dem Prinzip der friedlichen Koexistenz von verschiedenen Konfessionen richteten. Sie versuchten das Volk und das Land vor der Gefahr des Extremismus zu warnen und erzielten im Tal Frieden und Einverständnis. Sie äußerten ihre Unzufriedenheit wegen der Zunahme des Wahabismus, der in Pankissi in der 2. Hälfte der 90-er Jahre des 20. Jhs. in Erscheinung trat. Nach der Ankunft der Flüchtlinge und der s.g. „Bojewike“ aus Tschetschenien ins Tal haben sich die Positionen des Wahabismus endgültig verstärkt.

Die Heimat des Wahabismus ist Saudiarabien. Der Wahabismus predigt einen religiösen Fundamentalismus. Er kämpft gegen Traditionen, und zwar gegen die mit dem orthodoxen Islam zusammengewachsenen kaukasischen Bräuche und Rituale. Er will das Volk „arabisieren“. Wahabismus ist eine besondere Form des politischen Extremismus. Zwar leugnet die Regierung von Saudiarabien jeglichen Zusammenhang mit dieser Bewegung, aber die Tatsache ist, daß sie durch verschiedene private Stiftungen handeln, mit deren Hilfe die Neigung der Khisten, und hauptsächlich der Jugendlichen zur „Arabisierung“ wächst. Außerdem wurden Dutzende Jugendliche aus dem Pankissital an die islamischen Universitäten Saudarabiens zur Ausbildung gesandt, die nach der Rückkehr ins Tal die Vorzüge des Wahabismus weit und breit propagieren. Das führte zur Gründung der arabischen Schulen in Duissi, Dshokolo, Birkiantha und Omalo. In arabischen Schulen werden Jungen und Mädchen getrennt unterrichtet. Den Schülern wird das arabische Alphabet beigebracht, sie lernen Suren und Hadisen aus Koran auswendig. Entscheidend ist, daß in den Schulen vorzugsweise die Absolventen der arabischen islamischen Universitäten unterrichten, die von islamischen Organisationen bezahlt werden.

Dem Wahabismus, der so unerwartet ins Leben der pankisser Khisten eingedrungen ist, haben sich die Vertreter des traditionellen Islam entgegengesetzt. Sie ließen die Wahabisten nicht in die Moschee. Doch haben die Wahabisten genug Geld aufgebracht, um innerhalb von 2-3 Jahren 4 Moscheen im Pankissital zu bauen. Im Zentrum von Duissi wurde nicht nur eine Moschee, sondern ein ganzer Gebetskomplex errichtet, der für jede Großstadt geeignet wäre. Das Pankissital stand im Brennpunkt der Aufmerksamkeit der terroristischen Organisation „Al Khaida“. Die georgischen Rechtsschützer haben in Pankissi die arabischen Mitglieder dieser Organisation gefangengenommen und sie den Amerikanern ausgeliefert.

Ein friedliches Zusammenleben von Moslems und Christen ist ausgeschlossen, – predigt der Wahabismus, – der Christ muß mohammedisiert werden!

Der Wahabismus kann auch der Erreger der Spannung sein, aber Tatsache ist, daß im Pankissital mit der Schwächung der georgischen Jurisdiktion und der Stärkung des Wahabismus (1999-2002) die Mordtaten häufiger geworden sind. Es haben sich verschiedene Gruppierungen gebildet, und der Drogenhandel, Diebstahl, Raub und Menschenhandel haben einen Höhepunkt erreicht. Die Anhänger der traditionellen religiösen Richtungen im Tal stehen unter Druck, die Gebetsstätte in Kwarelzkali wurde besudelt, die Kirche des Heiligen Georg in Belthapori und das mittelalterliche Denkmal auf der Thorgwa-Festung wurden im Brand gesteckt.

Die verängstigten Bewohner wagen es nicht, im Dom der Muttergottes in Dshokolo zu beten.

Der Wahabismus ist heutzutage die dominierende religiöse Richtung unter den Khisten des Pankissitals.

ANMERKUNGEN

(1) K. Pizchelauri: Hauptprobleme der Geschichte ostgeorgischer Stämme ( XV-VII Jh.v.u..Z ), (Georgisch), Tbilissi. 1973, S. 84.

(2) Denkmäler des georgischen Rechts ( 1722), B. 2, herausgegeben von I. Dolidse, (Georgisch) , Tb. 1965, s. 367-369

(3) Institut für Manuskripte, Ad-824.

(4) Muschelischwili, D.L.: Fragen der Geschichtsgeographie des Pankissi-Passes, Schriften der archeologischen Expedition in Kachetien (1965-66 J.), Tbilissi, 1969, S. 151.

(5) I. Dshawachischwili, Denkmäler der Wirtschaftsgeschichte Georgiens , Band I, Demographische Denkmäler , Verzeichnisse der Völkerbeschreibung in Ostgeorgien im XVIII Jh.. , Tbilissi 1967, S . 67-70.

(6) M. Mtschedlischwili, Spaltung der orthodoxen christlichen Glaubens im Bezirk Achmeta . in der Zeitung „Bachtrioni“, N. 1 (5), Februar, 2002.

(7) Ebenda.

(8) Schakro, in der Zeitung „Iveri „, 29.01.1887, Nr.21.